Grafschaft Glatz > Kultur und Geschichte > Sagenbuch von Dr. J. G. Th. Grässe

Kultur und Geschichte
der Grafschaft Glatz (Schlesien)

 

Sagenbuch des Preußischen Staats.

von Dr. Johann Georg Theodor Grässe.
Zweiter Band. Verlag von Carl Flemming. Glogau, 1871.

Auszug

 

Johann Georg Theodor Grässe (* 31. Januar 1814; † 27. August 1885) studierte ab 1833 Philologie sowie Philosophie und Archäologie an der Universität Leipzig, wo er 1834 promoviert wurde. 1855 erschien als eines seiner Hauptwerke auf dem Gebiet der Sagen „Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen mit etwa 1000 Sagen. 1868/1871 erschien das „Sagenbuch des Preußischen Staates“ mit 2206 Sagen, Nachweise der älteren literarischen Quellen, teilweise auch mit der Angabe Mündlich.
Der historische und in Fraktur gedruckte Text dieser Sagen aus der Grafschaft Glatz wurde in moderne Schrift übertragen und bereitgestellt von Christian Drescher.

Titel des Buches von 1871
Titel des Buches von 1871

Inhaltsverzeichnis

184. Der Name der Stadt Glatz.

185. Die heidnische Jungfrau auf dem Schlosse zu Glatz.

186. Die große Linde bei Eisersdorf.

187. Die Hexe zu Lewin.

188. Die bösen Juden zu Glatz.

189. Einem Mörder wird sein Tod vorausgesagt.

190. Hexen zu Glatz verbrannt.

191. Der Teufel zu Neurode.

192. Hexen zu Habelschwerdt.

193. Die Entstehung der Kirchen zu Neuendorf.

194. Die Sage vom Ottenstein bei Hansdorf.

195. Die Sage vom Raubschlosse auf dem Quinga-Berge bei Volpersdorf.

196. Das Hummelschloß.

197. Die Hummelfrau.

198. Der Gang nach dem Hummelberge.

199. Die Hirtensteine bei Glatz.

200. Der goldene Stollen.


184. Der Name der Stadt Glatz.

(S. Wedekind, Geschichte der Grafschaft Glatz. Neurode 1857, S. 141.)
 
Ueber den Ursprung des Namens der Stadt Glatz giebt es verschiedene Sagen. Die eine berichtet, Glatz habe ursprünglich Luca geheißen und dieser Name sei dem Orte Glatz von dem ersten Gründer gegeben worden, der Luca geheißen habe und über ein Fähnlein Volk ein berühmter römischer Hauptmann gewesen sei. Nach einer andern Sage hätte die Stadt ihren Namen von dem lateinischen Worte glacies (Eis), denn wenn man zur Winterszeit dahin gekommen ist, so soll die Stadt, da sie noch, wie damals gebräuchlich war, ganz niedere Häuser hatte, auf lauter Eis zu stehen geschienen haben. Andere erzählen, an der Stelle, wo jetzt Glatz stehe, habe Heinrich der Finkler einen Hunnenobersten, Glotz genannt, erlegt und zum Andenken habe der Kaiser der Stadt den Namen Glotz, woraus dann Glatz geworden, gegeben.
In frühern Zeiten hing am Rathhause, der Taberne gegenüber, in freier Luft ein Klotz und dieser galt als Wahrzeichen derselben. Desgleichen war unter dem böhmischen Thore in der Mauer ein Klotz aus Stein ausgehauen und eingemauert und auch dieser galt als Wahrzeichen. Seine Bedeutung wird aber daraus erklärt, daß Glatz, ehe es ein Marktflecken ward, ein Ort von lauter Busch und Wald war. Als sich nun Menschen hier ansiedelten und die Bäume meistens ausgerodet wurden, hat außen auf dem jetzigen Markte ein großer Eichenklotz gestanden. Wenn nun die Leute aus den benachbarten Dörfern oder Flecken dahin reisen wollten, so sagten sie: „Wir wollen zum Klotz!“ und davon hat die Stadt ihren Namen erhalten.

185. Die heidnische Jungfrau auf dem Schlosse zu Glatz.

In uralten Zeiten soll zur Heidenzeit eine heidnische Jungfrau das Land Glatz regiert haben, allein in eitler Wollust, Ueppigkeit und Unzucht gelebt und sich der gräulichsten Zauberei beflissen haben. Sie war so kriegerisch und gewandt, daß sie mit ihrem Bogen und Pfeilen bis zu der großen Linde bei Eisersdorf an der Grenze des Glatzer Kreises (1 Meile südöstlich von Glatz an der Landecker Straße) schießen konnte. So wettete sie einstmals mit ihrem Bruder um einen hohen Preis, wer mit dem Bogen den Pfeil am weitesten treiben werde, ihr Bruder erreichte kaum den halben Weg, sie aber trieb ihren Pfeil vom Schlosse zu Glatz fast noch einmal so weit, nämlich bis zu der vorerwähnten großen Linde bei Eisersdorf, und gewann die Wette.
Diese Jungfrau hat nicht blos mit vielen Andern, sondern mit ihrem eigenen Bruder abscheuliche Unzucht getrieben, weshalb man ihr fleißig nachstellte, um sie gebührlich zu bestrafen. Von ihrer Zauberei war aber das ein Zeichen, daß sie starke Hufeisen mit den Händen zur Kurzweil zerbrach, ihren Zauberkünsten wegen gelang es aber nicht, ihrer habhaft zu werden, weil sie immer wieder entrann. Endlich glückte dies doch und nun soll sie in einem großen Saale am Thore, zwischen dem Ober- und Niederschlosse fest vermauert und darin umgekommen sein. Zum ewigen Gedächtniß dieser Begebenheit hat man an der Mauer über dem tiefsten Graben ihr Bildniß, das aus einem Stein ausgehauen war, eingemauert. Diesen ausgehauenen und eingemauerten Stein hat man bis ins 17. Jhdt. hinein allen Fremden gezeigt, die das Schloß zu Glatz besuchten. Sonst stand auch ihr Bild, schön und sauber gemalt, in dem sogenannten grünen Saale des Schlosses zu Glatz. An der Stelle der sogenannten Petri- oder Peter-Pauls-Kirche auf dem Oberschlosse hat bis ums Jahr 936, wo jene erbaut ward, ein Götzentempel, das sogenannte heidnische Kirchlein gestanden, aus dieser ward ein Götzenbild lange in der Burg zum Andenken aufbewahrt, kam aber im Jahre 1743 mit einer Trommel *), dem Bogen und dem goldenen Haar jener heidnischen Jungfrau (Valeska *), welches bis zum Jahre 1622 den Besuchern jenes Kirchleins hoch an der Wand an einem Nagel hängend gezeigt ward, nach Berlin in die Kunstkammer.
Man erzählt nun, daß sich diese Jungfrau in ihrer alten Kleidung noch oft auf dem Schlosse zu Glatz sehen läßt, sie thut aber Niemandem etwas zu Leide, wenn man sie zufrieden läßt und nicht hämisch von ihr spricht. Ein Soldat, der dies einst that, als er auf dem Posten stand, erhielt auf einmal von ihrer eiskalten Hand einen gewaltigen Backenstreich. Im Jahre 1621 ward der Geistliche Aelurius zu einem Soldaten gerufen, um ihm das h. Abendmahl zu geben, derselbe war im Gesicht sehr übel zugerichtet und sagte auf das Befragen des Geistlichen, wo dies herrühre, er hätte das Haar der heidnischen Jungfrau aus dem Kirchlein weggenommen, worauf sie in der Nacht zu ihm gekommen sei und ihn schrecklich gemißhandelt habe, wahrscheinlich würde sie ihn umgebracht haben, hätte nicht einer seiner Kameraden auf sein Bitten das Haar wieder in das Kirchlein zurückgetragen und dort aufgehängt.
 
*) Nach Andern wäre dies die Trommel, welche mit der abgezogenen Haut des Hussitengenerals Ziska überspannt war

186. Die große Linde bei Eisersdorf.

Die große Linde bei Eisersdorf soll so alt gewesen sein, als der heidnische Thurm daselbst. Obwohl sie mehrmals verdorrte, ist sie doch immer wieder von Neuem gewachsen. Einstmals soll sich die erwähnte Zauberin darauf gesetzt und von der Stadt Glatz viele zukünftige Dinge geweissagt haben. Unter andern hat sie gesagt, der Türke werde einst bis Glatz kommen und allda, wenn er durch die steinerne Brücke hinauf bis auf den Ring kommen werde, eine große Niederlage erleiden, weil ihm die Christen aus dem Schlosse herunter entgegenziehen und ihn auf dem Markte erlegen würden. Solches aber werde nicht eher geschehen, als bis eine ganze Schaar Kraniche durch die Brotbänke geflogen sein würden. Bis jetzt ist aber diese Prophezeihung noch nicht in Erfüllung gegangen.

187. Die Hexe zu Lewin.

(S. Aelurius, Chronik von Glatz S. 236 c.)
 
Im Jahre 1345 hat sich in dem Städtlein Lewin eine schreckliche Historie zugetragen. Es war darin ein Töpfer mit Namen Duchacz, welcher ein Weib hatte, die hieß Brodke und war voll teuflischer Zauberei. Als dieses bekannt wurde, ermahnten sie die Priester, von solchem bösen Thun abzustehen. Da begab es sich plötzlich, als sie ihre Geister zusammengerufen, daß sie eines plötzlichen Todes verstarb. Niemand wußte zu sagen, ob sie von bösen Geistern umgebracht oder sonst gestorben sei. Deshalb wollte man sie unter frommen Christen nicht begraben, sondern verscharrte sie an einem Scheidewege. Bald wurde jedoch verspürt, daß sie umging, zu den Hirten auf dem Felde kam, sich in allerlei Thiergestalten verwandelte, die Hirten erschreckte, das Vieh verjagte und nicht wenig Bekümmerniß ver ursachte. Bisweilen ließ sie sich auch noch in ihrer Gestalt, als sie lebte, sehen, kam so ins Städtchen Lewin und in die Dörfer, in der Leute Häuser unter mancherlei Gestalten, redete mit den Leuten, erschreckte sie und brachte manche sogar ums Leben. Da vereinigten sich die Bürger und Bauern, ließen die Leiche durch einen hierzu tüchtigen Mann ausgraben; nun konnten alle anwesenden Menschen sehen, daß sie die Hälfte des Schleiers, den sie auf dem Kopfe gehabt, in sich hinein gewürgt hatte; derselbe wurde ihr ganz blutig aus dem Halse gezogen. Hierauf ließ man ihr zwischen die Brust einen eisernen Pfahl schlagen, bald floß ihr Blut aus dem Leibe, nicht anders als aus einem Rinde, daß sich Alle verwunderten und dann ward sie wieder verscharrt. Aber nach kurzer Zeit ließ sie sich wieder sehen und öfters als zuvor, erschreckte und tödtete die Menschen und sprang mit den Füßen auf den Leichen umher. Deshalb wurde sie durch denselben Mann noch einmal ausgegraben und befunden, daß sie den eichenen Pfahl aus dem Leibe gezogen hatte und in den Händen hielt. Hierauf wurde sie sammt dem Pfahle verbrannt und die Asche im Grabe verscharrt. Zwar sah man an der Stelle nach etlichen Tagen einen schrecklichen Wirbelwind, die Hexe aber kam nie wieder.
 
**) Aelurius sagt, er wisse nicht ob diese Jungfrau die Königin Libussa, oder die Polin Velda, oder die böhmische Zauberin Vauska.gewesen sei.

188. Die bösen Juden zu Glatz.

(S. Wedekind, Gesch. d. Grafschaft Glatz S. 196)
 
In Glatz befand sich früher eine große steinerne Säule, welche sich darauf bezog, daß die Juden aus der Stadt Glatz für ewige Zeiten verwiesen wurden, weil sie viele Lästerungen gegen den Sohn Gottes und seine Mutter, die h. Jungfrau Maria, desgleichen auch über die heiligen Sacramente des Neuen Testamentes ausschütteten. Namentlich haben sie im Jahre 1492 in Glatz ein altes Weib heimlich mit Geld und guten Worten dahin gebracht, daß sie die gesegnete Hostie, wenn sie communiciren würde, heimlich verstecken und ihnen bringen sollte, damit sie vielleicht nachher ihre Zauberei und Gaukelei mit derselben ausüben könnten. Als nun das Weib zum Tische des Herrn ging, hat sie das gesegnete Brod im Munde behalten und in einen Aermel fallen lassen, ist hernach hingegangen und hat es den Juden verkaufen wollen. Wie sie aber auf die Böhmische Gasse gekommen, hat sie es auf die Erde fallen lassen, welches eine Magd aufgehoben und dem Rathe soll angezeigt haben. Ein wohlweiser Rath der Stadt Glatz hat alsbald das schuldige Weib mit Gefängniß einziehen lassen und dieselbe hat auch die böse That ohne Verzug bekannt, darnach ist sie mit Zangen zerrissen und verbrannt worden. Bald darauf sind auch alle Juden aus Glatz vertrieben und es ist in demselben Jahre 1492 auf der Böhmischen Gasse auf derselben Stelle, wo sich die Begebenheit zugetragen, eine große steinerne Säule aufgerichtet worden. Später hat man die Säule verrückt, da sie im Wege hinderlich war, und an die Giebelwand des nächsten Hauses gesetzt und eingemauert, so daß man sie noch jetzt mit den ausgehauenen Figuren wohl erkennen kann.

189. Einem Mörder wird sein Tod vorausgesagt.

(S. Aelurius S. 314.)
 
Ein Mörder und Straßenräuber hatte nicht weit von Jägerndorf einen reichen Kaufmann aus Neisse ermordet und 3000 ungarische Dukaten bei ihm gefunden, welches Geld er sammt dem Pferde an sich genommen, den Leichnam aber heimlich verscharrt hatte. Nach einiger Zeit sitzt er in einem vornehmen Wirthshause zu Glatz, in welchem viele gelehrte Leute über Tisch von seltsamen Händeln und Begebenheiten, und auch von der Menschen Nativität reden, dabei auch vieler Exempel gedacht wird, wie manchem Menschen aus seiner Nativität seine Zukunft, ja auch sein Lebensende sei verkündet worden. Gedachter Mörder, der zwar von seinem Vorhaben abgestanden war – Peter Klimpt war sein Name –, nimmt solches in Acht und geht am folgenden Morgen zu einem hocherfahrenen Astrologen in Glatz, den er deswegen schon hatte rühmen hören, verehrt ihm fünf Dukaten und giebt ihm daneben die Stunde seiner Geburt, wie er sie von seinen Eltern erfahren, an. Gedachter Astrolog bescheidet ihn auf den folgenden Morgen wieder zu sich und will ihm dann das Geld wiedergeben, indem er sagt, er könne in dieser Sache nicht richten. Gedachter Klimpt spricht, er solle das Geld behalten und ihm gerade Alles heraussagen. Da spricht der Astrologus: „Weil Ihr es ja wissen wollt, so will ich es Euch anzeigen, doch wisset dieses zuvor: Astra non necessitant sed tantum inclinant. Ich finde aber, daß Ihr im 35. Jahre Eures Alters sollt aufs Rad gelegt und durch den Scharfrichter umgebracht werden, also hütet Euch davor und begeht keine solche Händel, die einen solchen Lohn bringen sollen“. Hierüber erschrickt Klimpt, nimmt seine Sachen besser in Acht und hält sich darnach drei Jahre in Habelschwerdt auf und treibt einen Eisenhandel und führt ein ganz ehrbares Leben. Im vierten Jahre begeht er wieder zwei Morde in Mähren, worauf ihn sein Gewissen nagt, er an des Astrologen Worte gedenkt und sich in Troppau freiwillig dem Gerichte stellt, wo er dann im Jahre 1475 in seinem 35. Lebensjahre erst mit Zangen zerrissen und dann aufs Rad gelegt ward.

190. Hexen zu Glatz verbrannt.

(S. Wedekind S. 221.)
 
Im Jahre 1597 sind etliche Pillweissen (Hexen) von Ober- und Niederharsdorf, auch Droßky genannt, eingezogen und nachmals zu Glatz verbrannt worden. Es hatte eine Magd ihre Frau verrathen, von der sie ihre Schelmerei und Schmiererei gelernt hatte und auch mit ihr ausgefahren war. Und da hat es sich zugetragen, daß die Magd zwar mit auf den Hexenplan gekommen ist, aber ihre Zöpfe hat sie nicht Widersinnes um den Kopf gelegt. Darum sind die andern Pillweissen alle auf sie zugefahren und haben sie greulich zerkratzt, hätten sie vielleicht gar umgebracht, wenn nicht ihre Frau auf sie geschrieen hätte, daß sie sich bald auf ihre Kleider setzen solle, denn als sie solches gethan hat, haben sie dieselbe zufrieden gelassen und sind von ihr weggefahren, also daß sie gar allein geblieben ist. Als sie nachmals befragt worden, wer sie so zerkratzt hätte, hat sie Alles bekannt, wie es ihr unter den Pillweissen oder Hexen ergangen, hat dieselben genannt, worauf sie alle gefänglich eingezogen und verbrannt worden sind.

191. Der Teufel zu Neurode.

(Nach Aelurius S. 230 c. Poetisch behandelt bei Wedekind S. 209 2c. und von einem andern Verfasser ebd. S. 772 c.)
 
Im Jahre 1540 hat sich zu Neurode bei Glatz eine wunderliche Historie zugetragen. Es hat nämlich dieses Gut ein gewisser Georg von Stillfried besessen, der mit einer gewissen Rosina von Schaffgotsch aus Hedwigsdorf verheirathet war. Derselbe hatte etliche Gäste auf das sogenannte festum Pantaleonis oder Knoblauchfest gebeten und Alles stattlich darauf zugerüstet. Aber die Gäste blieben länger aus, als er gedacht hatte, da ward der Junker ungeduldig und sagte im Zorn: „Ei so kommen alle Teufel aus der Hölle, wenn kein Mensch kommen will!“ Darauf geht er in die Kirche zur Predigt. Unter der Predigt kommen fremde seltsame Gäste in den Hof geritten und befehlen dem Knechte, er solle hin nach dem Junker gehen und ihm sagen, er solle heimkommen, die Gäste, die er gebeten, seien gekommen. Der Knecht zeigt's dem Junker an, dem wird angst und bange, er erinnert sich seiner Rede, und fragt darauf den Pfarrer, was er thun soll. Der Pfarrer räth ihm, er solle alsbald mit seinem Gesinde aus dem Hause weichen. Dies ordnet der Junker an und indem Jedermann, Knecht und Mägde in Furcht und Schrecken davoneilen, vergessen sie des kleinen Kindes, welches in der Wiege schläft. Die Teufel fangen an zu fressen, zu saufen, zu schreien und in allerlei wunderbarlichen Gestalten, als Löwen, Bären, Katzen, Wölfe 2c. zum Fenster hinauszusehen, das Gebratene, die Fische und Anderes zu weisen, daß es der Junker, Pfarr und Nachbar sehen. Indem fällt es dem Junker ein und er fragt: „Wo ist das Kind?“ Kaum hat er das Wort ausgeredet, siehe da trat ein langer, schwarzer, häßlicher Geist zum Fenster und trug das Kind auf den Armen, gleichsam als wenn er es den Eltern weisen wolle. Der gute Junker weiß nicht, wo er sich vor Angst und Schrecken wegen seines lieben Kindes hinwenden soll, hatte aber einen alten getreuen Knecht bei sich, den fragte er, was er thun soll. Der Knecht sagt: „Junker, ich will mich dem lieben Gott empfehlen und im Namen des Herrn hingehen und sehen, daß ich mit Hilfe Gottes dem Teufel das Kind nehmen möge.“ Der Junker ist damit wohl zufrieden. Darauf läßt sich der Knecht vom Pfarrer segnen und mit den Andern über sich beten, geht in das Haus bis vor das Gemach, worin die Teufel waren, knieet nieder und betet abermals und befiehlt sich dem Schutze des Allerhöchsten, macht hernach die Thüre auf und sieht da beisammen einen ganzen Haufen Teufel, die dasitzen, gehen, stehen, kriechen und schreien: „Hui, hui! was willst Du hier, was willst Du machen?“ Der Knecht geht schwitzend und schweigend und doch auf Gottes Hilfe bauend getrost auf den Teufel zu, der das Kind trug und spricht ihn mit Ernst an: „Hörst Du Teufel, gieb mir das Kind!“ – „Nein“, spricht der Teufel, „das Kind ist mein, gehe hin zu Deinem Junker und sage ihm, er soll selbst herkommen und das Kind holen.“ Darauf sprach der Knecht: „Ich bin jetzo in meinem Beruf, darin mich Gott gesetzt hat, und weiß, was ich darin thue, daß Gott, meinem Vater, dies angenehm ist; deshalb nehme ich im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des h. Geistes jetzo das Kind von Dir und bringe es wieder seinem Vater!“ Darauf greift er zu, reißt das Kind vom Arme des Teufels und obwohl die Teufel gegrunzt, gemurrt, geschrieen und gedräuet haben, ihn ihn Stücken zu zerreißen, so ist er doch unbeschädigt davon gegangen und hat das Kind seinem Herrn wieder zugestellt.
Mehrere Jahre später *), als bei dem Knoblauchfeste abermals viele Gäste auf dem Schlosse zu Neurode versammelt waren, und nach der Mahlzeit die Becher fleißig in der Runde gingen, kam auch die Rede auf den Teufelspuk, worauf der Burgherr in tiefes Schweigen versank. Da brach Herr Heinrich Stillfried, der Aeltere, auf Steine, in ein lautes Gelächter aus, in welches mehrere der Tischgenossen dermaßen einstimmten, daß der ganze Saal erbebte. Verwundert und fragend blickte der Burgherr um sich und erfuhr nun, daß man sich damals nur in guter Absicht zur Ausführung dieses außerordentlichen Scherzes vereinigt habe, um Herrn George für sein gotteslästerliches Fluchen zu bestrafen und ihm dasselbe abzugewöhnen, worauf dieser nach kurzem Bedenken seinen Freunden dankbar die Hand schüttelte, und auch wirklich bei ihm Reue erfolgte, denn es hat der Ritter Georg von Stund an seine üble Gewohnheit des Fluchens gänzlich abgelegt. Der große Rittersaal im Schlosse zu Neurode, der im zweiten Stock nach Abend zu gelegen ist, jetzt aber seine ursprüngliche Bedeutung als Saal verloren hat, ist noch lange der Teufelssaal genannt worden.

192. Hexen zu Habelschwerdt.

(Nach Joseph Thamm, Chronik von Habelschwerdt S. 55, bei Wedekind S. 422)
 
Im Jahre 1640 ist ein Weib verklagt worden, daß sie einen vertrockneten Menschen- oder Diebsdaumen bei sich trage, den ihr ein Scharfrichterknecht, den sie beherbergt hatte, wegen gutem Glücke zugeworfen und sich dafür Leinwand zu Strümpfen ausbedungen hatte. Der Finger mußte dem Gerichte ausgeliefert werden.
1650 klagte die gesammte Töpferzunft gegen einen ihrer Mitmeister, daß sein Weib einige geweihte Sachen beim Verkaufe der Töpfe gebrauche, um dadurch einen größern Absatz ihrer Waare zu erwirken. 1651 verklagte Jemand eine Frau, daß sie ihm durch zauberische media sein Vieh verderbt hätte, wessen er sie selbst ergriffen hätte, da sie vor seinem Garten auf der Wegscheide einige verbotene Zaubereien, benenntlich ein Seigetuch, worin kreuzweis ein Paar hundert Nadeln gesteckt, eingegraben hatte, auch von ihm von Zeit zu Zeit einige mobilia borgen thäte und nun mehr drei Jahre hintereinander ihm allezeit das junge Vieh weggestorben, daher er einige Muthmaßungen trüge, gestaltsam dieses Unglück von ihr hergekommen wäre; beschuldigte sie zwar nicht, dermaßen es ihm unmöglich wäre, dies zu beweisen, daß sie eine Hexe sei, allein stellte solches in ihr Gewissen.

193. Die Entstehung der Kirchen zu Neuendorf.

(S. Wedekind S. 109.)
 
Das Dorf Neuendorf im Habelschwerdter Kreise in einer Schlucht des Schneegebirges zeichnet sich durch ein überaus großes und prächtiges Gotteshaus aus, welches an der Stelle der alten hölzernen, zu Ehren der h. Margarethe 1560 aus Holz errichteten und seit 1640 aus Stein umgebauten Kirche erbaut worden ist. (1703?) Eine zweite alte, neben der ebengenannten stehende, verdankt ihre Erbauung dem Schulzen desselben Ortes. Derselbe hatte im Jahre 1486 seine einzige Tochter Barbara im Walde verloren, daher gelobte er, der h. Barbara eine Kapelle zu erbauen, wenn er sein Kind wiederfände. Dies geschah; nach drei Tagen ward die Kleine mit Holzspähnen spielend, lächelnd und gesund wiedergefunden. Der Vater erfüllte sein Gelübde und erbaute die Kapelle.
Die vorhin gedachte größere neue Kirche soll aber auf folgende Weise entstanden sein. Ein Fürst, der in türkische Gefangenschaft gerathen war, that das Gelübde, der h. Jungfrau eine Kirche zu erbauen, wenn er seine Freiheit wieder erlange. Dies gelang ihm und bei seiner Ankunft in Wien entdeckte er dem Grundherrn von Mittelwalde sein Gelübde, sagte aber, er wisse nicht, wo er dasselbe erfüllen solle. Da kam ihm der Graf (Althann) mit dem Erbieten entgegen, daß dies auf seinen Gütern geschehen könne und wirklich wählte nun der Fürst den Platz zu Neuendorf.
 
*) Dies nur bei Wedekind S. 212.

194. Die Sage vom Ottenstein bei Hansdorf.

(Poetisch behandelt bei Wedekind S. 779.)
 
Der sogenannte Ottenstein bei Hansdorf soll der Wohnsitz einer hier begrabenen Zauberjungfrau, die man bald für eine der Mägde Libussas, bald für „eine von dem Tartarenheere zurückgebliebene Frau nennt, sein. Sie soll sich jedoch nur alle hundert Jahre einmal sehen lassen.
Nach einer andern wahrscheinlichern Erzählung hätte hier zur Zeit des 30jährigen Krieges ein Bauer Namens Otto gewohnt, der vom Ertrage seiner Viehwirthschaft gelebt habe. Der habe, als die Schweden dorthin gekommen, seine Rinder gut versteckt gehabt, diese seien aber durch einen Verräther nach deren Verstecke geführt worden und hätten sie fortgetrieben, darüber sei der Mann so erbost worden, daß er selbst sein Haus in Brand gesteckt habe und mit den Seinigen fortgezogen sei. Die Trümmer desselben hätte das Volk „Otto's Steine“ genannt und später habe der ganze Berg davon den Namen Ottenstein bekommen.

195. Die Sage vom Raubschlosse auf dem Quinga-Berge bei Volpersdorf.

(Poetisch behandelt bei Wedekind S. 777.)
 
Bei Volpersdorf, einem schönen Dorfe an der Walditz, das bis ins Eulengebirge hinaufreicht, liegt der Klingen- oder Quinga-Berg und auf diesem die Ruinen eines alten Raubschlosses, welches am Ende des 15. Jhdts. zerstört worden sein soll. In und unter demselben hatte sich später eine Räuberbande angesiedelt, welche hier um so sicherer war, weil das Dorf damals noch sehr klein und nur nach Westen hin das Thal angebaut, der obere Theil aber durch dichten Wald und Morast so gut wie unwegsam war. Des Sonntags fanden sich nun aber beim Tanz im Kretscham des Dorfes plötzlich fremde Männer ein, die viel Geld aufgehen ließen und beim Trinken und Tanzen immer die thätigsten waren. Nun hatte aber von den anwesenden Dörflerinnen namentlich eine Magd aus der Mühle im Löwengrunde die Augen der fremden Gäste auf sich gezogen, sie stellten ihr eifrig nach und boten ihr vieles Geld, wenn sie mit ihnen in ihre Heimath, die sie freilich nicht näher bezeichneten, gehen wolle. Das Mädchen aber traute ihnen nicht, indem sie des vielen Geldes wegen, welches sie zeigten, in ihnen Räuber vermuthete. Zwar hatte sich die Bande bisher stets gehütet, in der nächsten Nähe ihres Schlupfwinkels selbst Verbrechen zu begehen, allein schließlich war doch die Kunde von der Existenz einer solchen in dieser Gegend bis ins Dorf gedrungen, und als nun die Magd ihrem Herrn ihre Noth klagte, wie sie sich vor den zudringlichen Menschen nicht zu retten wisse, da gab er ihr den Rath, sie solle den nächsten Sonntag, wenn sie wieder zu Tanze gehe, scheinbar einwilligen und mit jenen fortgehen, er werde sorgen, daß sie beobachtet, unbemerkt begleitet und ihren Verführern entrissen werde. So geschah es auch, am nächsten Sonntage fanden sich die Räuber aufs Schönste geputzt wieder ein, das Mädchen erhörte sie diesmal, fand aber Gelegenheit, ehe sie zusammen fortgingen, einigen der jungen Burschen, die bereits von der Unternehmung unterrichtet und deshalb wohl bewaffnet gekommen waren, einen Wink zu geben. Diese folgten ihrer Spur, welche, weil sie überall unterwegs Erbsen fallen ließ, leicht zu finden war, durch Dick und Dünn und so langten sie denn plötzlich auf dem Gipfel des Klingenberges an, wo sie sich plötzlich vor dem Gemäuer einer alten Schloßruine sahen. Hier hörte aber die Spur auf, plötzlich sahen die Verfolger aber, wie die Magd gleichsam um sich umzusehen aus einem der offenen Fenster heraus schaute. Zwar ward sie sogleich von den Räubern wieder zurückgezogen, allein die Verfolger hatten genug gesehen, sie schlugen die Thüre ein, welche in das Innere der Burg führte und von den Räubern doch nicht fest genug verrammelt war und überfielen die nichts ahnenden Räubergesellen. Zwar widersetzten sich dieselben so gut als möglich, allein die Uebermacht war zu groß, sie wurden überwältigt und entweder getödtet oder gefangen genommen, das muthige Mädchen aber hatte schon während des Ueberfalls Gelegenheit gefunden sich zu flüchten. Bei dieser Gelegenheit ward jedoch Alles zerstört, was bis dahin noch von dem Schlosse übrig gewesen war und jetzt sind eben nur noch wenige Spuren davon übrig.

196. Das Hummelschloß.

Unter den alten in Schutt versunkenen Burgen der Grafschaft Glatz ist die Burg Hummel, auf einem gegen 1300 Fuß hohen Berge zwischen den Städten Reinerz und Lewin, die berühmteste. Der erste Erbauer oder Besitzer derselben soll ein Böhme, ein gewisser Homole gewesen sein und von diesem die Burg ihren Namen erhalten haben. Jetzt sind allerdings nur noch wenige Trümmer derselben übrig. Ums Jahr 1635 verbreitete sich bei den Umwohnern allgemein die Sage, daß es in den Ruinen der Hummelburg spuke, man brachte die in der Nähe derselben oft theils todt, theils noch lebend, aber sehr zerkratzt gefundenen Personen auf die Rechnung des Teufels und seiner Gesellen, und Leute, die aus Lewin in die Nähe der Burgtrümmer kamen, um Pilze zu suchen, behaupteten hier öfters Bären gesehen zu haben, was möglicher Weise in Thierfelle verhüllte Räuber gewesen sein könnten. Indeß gehen verschiedene Sagen von diesem Orte.
*) Es soll einer der Nachkommen Homole's ein schlimmer wüster Geselle gewesen sein, der all sein Hab und Gut verpraßte. Seine tugendhafte Gattin, die ihn von seinem Treiben abmahnte, ward ihm bald zuwider und so schaffte er sie heimlich durch Meuchelmord aus der Welt. Die zahlreichen Kinder, welche sie ihm geboren hatte, wuchsen nun in Sünden auf, sie sahen nur Böses und wurden daher bald so gottlos wie ihr eigener Vater. Derselbe ward nach und nach zu einem förmlichen Wegelagerer und freute sich des Namens „Raubgraf“, den ihm die ganze Nachbarschaft beilegte. Einst sah er von den Zinnen der Burg auf der Straße drei Wagen angefahren kommen, er witterte reiche Kaufmannsgüter in ihnen, brach mit seinen Mordgesellen über sie her und führte sie, nachdem er ihre Begleiter erschlagen, ins Schloß hinauf. Kaum dort angelangt, kamen seine Kinder herbeigeeilt und Jeder beeiferte sich einen der wohl verschlossenen Kasten, welche die Wagen enthielten, aufzubrechen, um sich der darin befindlichen Werthsachen zu bemächtigen. Allein statt Gold und Silber entstiegen den Kisten geharnischte Männer mit bloßen Schwertern, zwar versuchten die Söhne und Knechte des Raubgrafen mit ihnen zu kämpfen, allein vergebens, ihre Schwerter und Speere zersplitterten wie Spreu, es waren Geister, keine Menschen, mit denen sie stritten. Plötzlich öffnete sich der Boden, Flammen kamen hervor und die Burg versank mit allen, die darin waren, noch heute aber hört man zuweilen an jener Stelle aus der Erde ein Geräusch wie das Sumsen von Hummeln, das ist das Gestöhn der versunkenen Hummelschloßbewohner.

197. Die Hummelfrau.

(Poetisch behandelt von A. Kypselos [Kastner] in seinen Glatzischen Sagen. Breslau 1838 Bd. I. S. 7 c.)
 
Einst lebte zu Nerbotin bei Glatz ein armer Holzhauer, der sich mühsam vom Holzfällen im Hummelthale ernährte. Derselbe konnte einstmals in der Nacht nicht schlafen, ein gewisses Etwas trieb ihn aufzustehen und in den Wald an seine gewohnte Arbeit zu gehen. Er begab sich also lange vor Tage in den dichten Fichtenwald, welcher die Trümmer des alten Hummelschlosses umgiebt, da stand auf einmal ein gespensterhaftes Weib in einem weißen, mit Blut beflecktem Gewande, mit schwarzen fliegenden Haaren, ein Schlüsselbund an der Seite und einen Dolch in den Händen, vor ihm. Erschreckt schlug er ein Kreuz und sprach: „Alle guten Geister loben Gott den Herrn!“ Die Gestalt aber antwortete: „Fürchte Dich nicht, ich will Dir nichts zu Leide thun, im Gegentheil bitte ich Dich, mir zu helfen. Ich bin der abgeschiedene Geist einer Edelfrau dort oben vom Schlosse. Ich hatte ein Verhältniß mit einem benachbarten Ritter angefangen, mein Gatte bekam Wissenschaft, wie jener eines Tages sich ins Schloß geschlichen hatte, um mit mir eine Zusammenkunft zu haben, er ließ ihn festnehmen und in den Kerker werfen, mir aber verzieh er unter der Bedingung, fortan der Tugend treu zu sein. Ich versprach Alles, allein eines Nachts, als mein Gemahl an meiner Seite schlief, stieß ich ihm diesen Dolch in die Brust, eilte dann hinab zu dem Kerker meines Buhlen, öffnete selbst mit diesem Schlüsselbund die Thüre des Gefängnisses, befreite ihn und lebte fortan in Saus und Braus mit ihm, bis mich der Tod mitten in meinen Sünden ereilte. Seit diesem Augenblicke kann ich nicht zur Ruhe eingehen, sondern muß im Schooße dieses Berges meiner Erlösung harren, die Flecken von dem Blute meines Gemahls und das Schlüsselbund in meiner Hand brennen aber wie höllisches Feuer mein Gebein, und ich bitte Dich fußfällig, mich zu befreien. Nur alle hundert Jahre ist dies möglich und diese sind jetzt gerade um.“ Als nun der mitleidige Holzhauer sie fragte, wie er dies anfangen solle, sagte sie: „In der nächsten Mitternachtstunde sei hier in diesem Thale, da werde ich Dir in der Gestalt eines furchtbaren Drachen, das Schlüsselbund im Rachen haltend, erscheinen. Das mußt Du mir trotz meines scheinbaren Widerstandes zu entreißen suchen und mit diesem Dolche hier mich durchbohren, daß mein schwarzes Blut fließt. Dann bin ich erlöst. Laß Dich durch nichts erschrecken, ich werde Dir kein Leid anthun; kannst oder willst Du dies nicht versuchen, muß ich wieder hundert Jahre umgehen und auf einen neuen Befreier harren!“ Der Holzhauer versprach ihr mitleidig zu kommen und den Kampf zu wagen, und da reichte sie ihm den blutigen Dolch. In der Mitternachtstunde des nächsten Tages war er auch richtig zur Stelle, als er aber den aus dem Dickicht hervorbrechenden, heiseres Gezisch ausstoßenden und Feuer aus seinem ungeheuern Rachen ausspeienden in ungeheuren Ringen auf ihn losstürzenden Drachen gewahrte, war auch sein Muth dahin, er flüchtete in schnellen Sprüngen den Berg hinan, der Drache hinter ihm her, als er aber jetzt vor Angst den Dolch fallen ließ, da geschah ein furchtbarer Knall, und der Drache war verschwunden. Eine Stimme aber rief: „Wiederum verloren!“ So sitzt die Unglückliche wohl jetzt noch auf dem Grunde des Hummelberges und wartet auf einen Erlöser.
 
*) Ä erzählt von K. A. Müller, Burgen und Ritterschlösser Schlesiens. Glogau 1844, S. 109.

198. Der Gang nach dem Hummelberge.

(Poetisch behandelt von Kypselos (Kastner a. a. O. S. 151c.)
 
Es lebte einmal eine arme Wittwe mit einem einzigen Söhnchen in einem Dorfe in der Nähe des Hummelberges, die nichts verdienen konnte und bereits seit drei Tagen nichts mehr zu essen hatte. Es war gerade am heiligen Christtag, sie wußte sich keinen Rath, wo sie etwas hernehmen solle, da fiel ihr ein, daß einst noch bei Lebzeiten ihres Mannes ein Fremder bei ihr eingekehrt war, den hatten sie nach besten Kräften gepflegt und gespeist und zum Abschied hatte er ihr gesagt, im Schooße des Hummelberges lägen große Schätze vergraben; in der Christnacht könne ein frommer, tugendhafter und unverschuldet in Armuth gerathener Mensch dieselben heben, denn da lägen sie offen da, wer aber unreines Herzens sei, der werde von furchtbaren Schlangen verschlungen. Bis dahin hatte die Arme nie wieder an diese Mittheilungen gedacht, jetzt aber, wo die Noth am größten war, dachte sie doch, es sei besser den gefährlichen Weg zu gehen, als mit ihrem Kinde zu verhungern. Sie machte sich also auf den Weg, indem sie ihren Knaben in seinem ärmlichen Bettchen zurück ließ, da er eben eingeschlafen war, allein noch war sie kaum wenige Schritte von ihrer Behausung entfernt, als sie ihn ängstlich schreien hörte, ihre Mutterliebe erlaubte ihr nicht weiter zu gehen, ohne nachzusehen, was dem Kinde fehle, sie kehrte also um und als sie das Kind erwacht fand, nahm sie es auf den Arm, redete ihm zu und suchte es durch das Versprechen, ihm Essen und Spielsachen geben zu wollen, zu beruhigen. So gelangte sie denn mit ihrer Last auf beschwerlichem Schnee- und Eispfade bis an den Fuß des Hummelberges. Da hörte sie es tief unten im Grunde des Berges rauschen und dröhnen und sie sah denselben unten auseinander bersten, sie aber scheute sich nicht, sondern stieg muthig in die Tiefe hinab, hier trat ihr eine weiße Gestalt mit fliegenden schwarzen Haaren, einen spitzigen Dolch und ein Schlüsselbund in den Händen, aber sonst mit Blut befleckt aus dem Abgrunde entgegen. Sie ließ sich aber nicht stören, setzte ihr Kind nieder auf die Erde und suchte sich nun die zwischen Schutt und Steinen herum zerstreut liegenden Goldstücke auf. Als sie genug in ihrer Schürze zusammengehäuft zu haben glaubte, stieg sie wieder hinauf in die Oberwelt, indem sie beabsichtigte ihren Knaben nachzuholen, denn um ja recht viel fortbringen zu können, hatte sie ihn einstweilen unten gelassen. Aber ach, wie ward ihr, als es auf einmal drei schlug, die Stunde, bei welcher sie wußte, daß der Berg sich wieder schließen mußte. Und so geschah es auch, mit dem Schlage der Glocke dröhnte das Innere des Berges und unter Blitz und Donner schloß sich der Schlund des Berges wieder, sie aber sank auf ihre Kniee nieder und klagte sich jammernd als Mörderin ihres Kindes aus schnöder Habsucht an. Verzweifelnd warf sie die gesammelten Goldstücke weg und eilte wie von Furien gejagt durch Gestrüpp und Moor nach ihrer Hütte zurück. Dort traf sie ihre Schwester an, welche aus weiter Ferne gekommen war, um ihr Trost und Hilfe in ihrer Noth zu bringen. Verzweifelt beichtete sie ihr, was sie gethan und wollte ihrem Leben selbst ein Ziel setzen, allein diese sprach ihr Trost zu und hieß sie Geduld haben bis zur Christnacht des nächsten Jahres, dann solle sie noch einmal den Gang wagen, sie werde gewiß ihr Kind munter und gesund wiederfinden. Da faßte sie wieder Hoffnung und gelobte sich hoch und theuer, sie wolle entweder ihr theures Kind retten oder selbst in dem Schlunde des Berges ihr Grab suchen. Und so verging unter Harren und Bangen ein ganzes Jahr, und als die Christnacht endlich wieder herankam, da stand auch die Wittwe zur Stunde wieder am Hummelberge und abermals that sich das Innere desselben auf und siehe, tief unten auf dem Boden saß ihr Knabe und hielt in seiner zarten Hand eine Frucht aus fremdem Lande, die hatten ihm heilige Engel tagtäglich dorthin gebracht und ihn so ein ganzes Jahr ernährt. Als ihr nun der Knabe harmlos entgegenlachte, und sie ihn zärtlich in ihre Arme schloß und schnellen Laufes mit ihm aus dem Berge hinauseilte, da schien auch das Gesicht des Hummelweibes, welches wiederum bei den Schätzen erschien, freundlicher und milder zu blicken, und wie sie auch die Goldstücke am Boden anlachten, sie rührte keines an, sondern ließ Schätze Schätze sein und eilte frohen und dankerfüllten Herzens ihrer Heimath zu. Seit der Zeit soll noch Mancher in der Christnacht sich in den Hummelberg gewagt haben um Schätze zu finden, allein herausgebracht hat. Niemand etwas, denn der Eine war nicht fehlerrein, der Andere aber nur zum Schein arm.

199. Die Hirtensteine bei Glatz.

(Poetisch behandelt von Kypselos (Kastner] S. 1 c.)
 
Wenn man die Gipfel des Schneebergs erstiegen hat und von da den hohen Fall der Wölfel betrachtet, da sieht man auf dem nördlich von der Habel aufsteigenden Hügel fünf Felsen, welche sich grau und baumhoch in die Luft thürmen, die jede Minute den Einsturz zu drohen scheinen. Ihr Ursprung soll aber folgender sein.
Einst graste an dem Abhange des Berges tagtäglich eine Rinderheerde, gehütet von vier Knaben. Dieselben trieben sich den ganzen langen Tag hier herum, machten aber nichts als böse gottlose Streiche und erfüllten die ganze Umgegend mit ihrem wüsten Geschrei. Einst waren sie auch da und es war die Zeit gekommen, wo sie Mittag machen sollten. Ihr Vater aber hatte ihnen nur hartes, schimmliges, trockenes Brod mitgegeben und dieses war ihnen zu schlecht, da nahmen sie es, warfen es auf die Erde, traten mit Füßen darauf herum und spuckten darauf. In der Nähe pflügte ein Bauersmann, er sah den Frevel, hörte ihre gottlosen Verwünschungen, aber es rührte ihn nicht, kein Wort der Mißbilligung kam aus seinem Munde, im Gegentheil er lachte darüber. Da umzog sich auf einmal der Himmel, es ward schwarze Nacht und aus den zu Bergen aufgethürmten Wolkenmassen zischten feurige Blitze herab und eine furchtbare Stimme erscholl und rief: „Ihr Sünder und Du böser Mann, werdet zu Steinen, und lehrt als Steine der Nachwelt, daß Niemand straflos freveln darf!“ Als aber das Unwetter sich wieder verzogen hatte und die Sonne wieder in ihrer Klarheit aus den Wolken hervortrat, da waren die Knaben und der Bauersmann verschwunden und an der Stelle, wo sie vorher gestanden und gefrevelt, sah man jetzt fünf graue Felsenmassen. Sie waren zu Stein geworden. Das sind die sogenannten Hirtensteine.

200. Der goldene Stollen.

(Romantisch behandelt von Kypselos S. 86–109.)
 
Vor langen Jahren lebte ein reicher Müller zu Jauernick bei Lewin in der Grafschaft Glatz. Derselbe hatte eine einzige Tochter, die sehr schön war und in die sich ein armer Müllerbursche, den der Alte aus Gnade und Barmherzigkeit zu sich genommen hatte, verliebt hatte. Das Mädchen sah ihn aber auch gern und so versprachen sich denn die beiden Leutchen mit einander und meinten, der Vater werde am Ende auch zu ihrem Herzensbund sein Ja sagen. Sie traten also schließlich zusammen vor ihn hin und öffneten ihm ihr Herz, allein sie hatten zuviel auf die väterliche Nachsicht gebaut, der alte Müller hatte Anderes mit seiner Tochter im Sinne, der arme Müllerbursche war ihm zu schlecht, und so hieß er ihn denn seines Weges ziehen und seine Tochter in Ruhe lassen. Als nun aber das Mädchen ihm unter Klagen und Weinen um den Hals fiel und versicherte, daß sie ohne den Burschen nicht leben könne und lieber sich das Leben selbst nehmen als einen Andern ehelichen wolle, da ward der Alte doch etwas gerührt und er sagte als sein letztes Wort, jetzt dürften sie sich allerdings noch nicht heirathen und der Jacob müsse auch aus dem Hause, allein wenn er nach drei Jahren mit soviel Geld in der Tasche wiederkehre, als nöthig sei, um den halben Kaufpreis seiner Mühle zu bezahlen, da solle er seine Tochter zur Frau haben, sei aber diese Frist vorüber und er sei nicht wiedergekehrt oder habe nicht wenigstens die verlangte Geldsumme aufzuweisen, sei sie für immer für ihn verloren. Dagegen war nichts zu sagen, der Müllerbursche schnürte sein Bündel und zog voll guter Hoffnung hinaus in die Welt, denn er dachte sich in den drei Jahren, die er noch vor sich hatte, wohl soviel ersparen zu können, als sein künftiger Schwiegervater verlange. Und bereits war das dritte Jahr fast abgelaufen und er hatte wirklich so viel zusammengebracht, als ihm zur Erreichung seines höchsten Wunsches nöthig schien und er war schon auf der Rückreise nach seinem Heimathsdorfe, da trug es sich zu, daß er von langer Wanderung todtmüde sich in einem Gebüsche am Rande der Heerstraße niederwarf und in einen tiefen Schlummer sank. Da kam desselben Weges ein lüderlicher Strolch gezogen, als der auf dem Rasen den schlummernden Handwerksburschen gewahrte, da dachte er, es könne wohl sein, daß er ein Paar Sparpfennige in seinem Ränzel habe, er schlich sich an ihn heran und öffnete ohne Geräusch das Felleisen und als er dasselbe wohl gespickt mit schönen Goldstücken sah, da stahl er sie heraus und schlüpfte durch das Gebüsch auf Nimmerwiedersehen davon. Als aber der arme Müller endlich erwachte, da sah er die Bescherung, sein Felleisen lag aufgebrochen neben ihm, aber all sein mühsam erspartes Eigenthum war dahin und mit demselben auch seine Hoffnung seinen Schatz je sein nennen zu dürfen. Was half aber alles Jammern und Weinen, hier konnte er doch nicht bleiben, dem Diebe, den er nicht kannte, konnte er auch nicht nachlaufen und so mußte er sich denn auf die Socken machen und eilen, ein Nachtlager zu bekommen. Er schritt also mit leichtem Ranzen, aber schwerem Herzen fürbaß und kam spät am Abend an die Thore Wiens, mußte aber natürlich in einer elenden Herberge Einkehr nehmen, denn Geld hatte er so gut wie gar nicht mehr, um sich einen bessern Aufenthalt suchen zu können. Als er nun in der Stube des Wirthshauses traurig bei seinem kärglichen Abendbrode saß, da sah er, daß drei fremde Männer, welche ihm wie Welsche vorkamen und an einem andern Tische saßen und lustig zechten, ihn aufmerksam anblickten. Endlich redeten sie ihn an, tranken ihm ein Glas heurigen zu und hießen ihn aus ihrer Weinkanne Bescheid thun. Anfangs wollte er zwar nicht recht daran, aber Zureden hilft und als er einige Gläser des feurigen Oberösterreichers getrunken, da wurde er gesprächig und erzählte den Fremden, was ihm Trauriges begegnet war. Da meinten sie, es wäre wohl möglich, daß sie ihm helfen könnten, er müsse natürlich aber auch seinerseits ihnen einen Gefallen thun. Sie fragten ihn, ob er nicht, da er bei Lewin im Glatzer Lande zu Hause sei, den sogenannten goldenen Stollen kenne. Er antwortete, diesen kenne er allerdings, er liege nicht weit von seinem Heimathdorfe, am Fuße der hohen Mense und in der Nähe der Seefelder, es sei ein Felsen, der einen großen Spalt habe, in welchem der Sage nach große verwünschte Schätze verborgen lägen. Sie fragten ihn nun, ob er sie wohl dorthin führen könne. Der Müller antwortete, das könne er wohl, wenn sie aber etwa gedächten, die dort liegenden Schätze heben zu wollen, so möchten sie sich dies nur vergehen lassen, das hätten schon Viele versucht, aber gelungen sei es noch Keinem. Da meinten aber die Welschen, das sei ihre Sorge, sie verlangten von ihm nur, daß er ihr Führer sei, wenn er sie hingebracht, würden sie schon selbst fertig werden, ihm sei reicher Lohn gewiß. Damit hießen sie ihn sein Strohlager suchen und er mußte ihnen versprechen, sich am andern Morgen nicht ohne sie entfernen zu wollen.
Jacob wurde am nächsten Tage durch eine eisige Kälte aufgeschreckt, welche seine Glieder krampfhaft schüttelte. Er selbst sah sich aus der Herberge, wo er schlafen gegangen war, ins Freie versetzt, er lag auf der kalten Erde, welche mit niedrigem Moose und spärlichem Grase bedeckt war. Er sprang ängstlich in die Höhe und sah sich zuerst nach seinem Ränzel um, von dem er wußte, daß er es am Abend zuvor unter seinem Kopfe gehabt hatte. Allein kein Ränzel war zu sehen und in demselben Augenblicke fiel ihm ein, daß möglicherweise die drei Fremden es ihm, so wenig es auch noch enthielt, gestohlen haben könnten. In dieser Vermuthung ward er aber um so mehr bestärkt, als er die Welschen selbst nicht sah, von denen er doch wußte, daß sie am Abend zuvor noch neben ihm auf dem Strohe gelegen hatten. Er fing also an laut über sein Mißgeschick zu klagen und über die treulosen Räuber, für welche er die Fremden hielt, zu fluchen. Mittlerweile aber wurde es heller Tag und die feuchten Nebel, welche bis dahin die Gegend umhüllt und eine Aussicht in die Thäler und Ebenen von dem hohen Standpunkt, wo der Müller sich befand, verhindert hatten, senkten sich in die Tiefe und plötzlich verstummte er vor Verwunderung, er erkannte die Gegend wo er sich befand, er war nicht mehr in Wien, sondern in seiner Heimath, am Fuße des Berges sah er aus dunkeln Gebüschen einzelne Teiche im Lichte der Sonne heraufglänzen, er stand auf der hohen Mense, da unten lagen die Seefelder und dort war das Böhmerland. In demselben Augenblick aber traten hinter einer Felswand die drei Welschen hervor und hießen ihn guten Muthes sein, denn sie wollten ihm sein mageres Ränzel, welches sie bei ihrer Reise auf ihren Mänteln durch die Luft verloren hätten, zehnmal ersetzen. Nur solle er sein Versprechen erfüllen und sie nach dem goldenen Stollen führen. Jacob faßte aber jetzt Vertrauen zu den Fremden, denn er sah, daß sie mehr konnten als Brod essen, und er hieß sie also ihm folgen und so führte er sie denn auf einem allerdings sehr beschwerlichen Wege bis an einen mächtigen Felsen, über welchen sich ein kleines Bächlein in die Tiefe herabstürzte. An diesem konnte man deutlich eine weite, an den Rändern mit feuchtem Moose bewachsene Qeffnung wahrnehmen. Diese bezeichnete er ihnen als den Eingang zum goldenen Stollen und verlangte nun aber auch die Bezahlung für seine Führerschaft. Die Fremden aber meinten, er solle seinen Lohn schon bekommen, wenn das Werk vollbracht sei, er möge doch aber selbst mit hinab in die Eingeweide des Schachtes steigen, es sei keine Gefahr dabei, er solle ihnen nur folgen und das thun, was er sie thun sähe, aber bei Leibe kein Wort sprechen.
Zwar war diese Verzögerung Jacob eigentlich nicht recht, allein da er sich überlegte, die Fremden könnten, wenn er nicht mitgehe, vielleicht gar durch einen andern ihm nicht bekannten Ausgang den Berg wieder verlassen und er somit seines gehofften Lohnes verlustig gehen, so könne er aber vielleicht selbst noch einiger Goldklumpen theilhaftig werden, er beschloß also den Hinabgang mit ihnen zu wagen und versprach ihnen mitzugehen. Nachdem sie nun eine kurze Weile am Fuße des Felsens gerastet hatten, um sich von ihrem angestrengten Marsche zu erholen, fällten sie einen hohen Baum mit vielen Aesten, hieben dieselben bis auf einen Zoll vom Stamme weg, schleppten ihn nach dem Felsen und ließen ihn dann durch die Oeffnung desselben hinab. Nun stiegen sie an den Astresten wie auf den Sprossen einer Leiter hinab und befanden sich bald in einer ziemlich geräumigen Höhle, die sich nach oben zu immer mehr verengte und nur ein schwaches Dämmerlicht durch die Oeffnung nach außen erhielt. Nach keiner Richtung war aber eine Fortsetzung oder Ausgang dieses von vier kahlen Felsenwänden gebildeten Gemaches wahrzunehmen. Einer der Welschen nahm nun ein schwarz eingebundenes Buch aus seiner Tasche, zündete eine schwarze mitgebrachte Kerze an und fing an aus demselben eine sonderbar klingende Beschwörungsformel, von der aber der Müllerbursche keine Sylbe verstand, vorzulesen. Als er einige Worte gesprochen hatte, öffnete sich auf einmal die eine Seite der Felswand und man gewahrte eine dicke eiserne Thüre, da las der Welsche wiederum einige Worte aus dem Buche und auch diese Thüre sprang auf und nun zeigte sich auf einmal ein langer schmaler Gang. In diesen traten jetzt die vier Männer ein, schritten einige Minuten in demselben fort und standen auf einmal vor einer zweiten eisernen Thüre. Hier fand genau dasselbe Verfahren statt, nachdem einer der Fremden einen Spruch aus dem Zauberbuche gelesen, sprang auch diese Thür auf und nun zeigte sich abermals ein Gang, der hinten von einer dritten Thüre geschlossen ward. Vor dieser lag aber ein ungeheurer schwarzer Hund, der die Kommenden mit feurigen Augen anglotzte. Der Beschwörer aber ließ sich von ihm nicht stören, sondern las abermals einige Beschwörungsformeln aus dem bewußten Buche und das Unthier schlich willig zur Seite, legte sich ruhig hin und schloß die Augen. Dann trat jener einige Schritte vorwärts, wiederholte sein Verfahren und auch die dritte Thüre wich vor der Macht seiner Beschwörungsformel. Nun traten sie in ein langes geräumiges Gemach, von dessen Decke goldgelbe Zapfen herabhingen, welche den Schimmer der Kerze zurückstrahlten und eine auffallende Helligkeit verbreiteten. In einer Ecke waren jedoch die Wände ganz schwarz, und hier saß auf einem Haufen dicker Goldklumpen ein eisgrauer Mann in uralter Tracht mit langem Barte in tiefem Schlafe, sein rechter Arm, der eine Axt hielt, hing schlaff herab. Ohne sich an den Alten zu kehren zogen nun die Welschen aus ihren Manteltaschen Handbeile heraus, schlugen eine Menge der goldenen Zapfen herab, konnten aber doch den Schläfer trotz des Lärmes, den diese Arbeit machte, nicht erwecken. Mit diesen abgeschlagenen Zapfen füllten sie vier mitgebrachte Säcke an, von denen jeder von ihnen einen auf die Schulter nahm, den vierten aber packten sie Jacob auf. Darauf verließen alle die Schatzkammer, der Welsche aber mit der Kerze machte den Beschluß. So wie sie hinausgetreten waren, schloß sich auch die eiserne Thüre hinter ihnen, der schwarze Hund sprang aus dem Winkel hervor und legte sich knurrend wieder vor die Thüre, ebenso schnell sprangen dann auch die zwei andern eisernen Thüren auf, schlugen aber eben so schnell wieder zu, sobald die vier hindurch waren. Als sie nun schließlich wieder in die erste Höhle gelangt waren, bis wohin sie den Baumstamm hinabgelassen hatten, da hatte sich auch die Oeffnung in dem Felsen wieder geschlossen, welche zuerst die eiserne Thüre zugänglich gemacht hatte und jetzt, nachdem die Kerze ausgelöscht worden war, da ließen sie auch wieder ihrer Zunge freien Lauf und lobten den Müller wegen des von ihm bewiesenen Muthes. Auf seine Frage, wer denn der schlafende Alte gewesen sei, erfuhr er, daß dies ein früherer Schatzgräber gewesen, der aber etwas bei seinem Unternehmen versehen hatte und nun dort ewig schlafen müsse. Ein gleiches Loos hätte natürlich sie auch treffen können. Jetzt erkannte der Müller erst, in welcher Gefahr er gewesen. Nun hatten sie jedoch noch ziemlich viel Mühe damit, die schweren Säcke über die Aeste des Baumstammes ins Freie zu bringen, allein endlich brachten sie auch noch dies zu Stande und als sie nun außerhalb des Schachtes waren, da überredeten die Welschen den Müller, er möge ihnen auch den Sack, den er mit aus der Schatzkammer genommen, überlassen, denn er könne doch mit den darin befindlichen Goldzapfen, als verwünschtem Golde nichts anfangen, sie wollten ihm 300 Dukaten, die sie gerade bei sich führten, dafür geben, diese Summe werde jedenfalls, hinreichen seinen zukünftigen Schwiegervater zufrieden zu stellen. Was wollte Jacob machen, die Goldzapfen hätte er doch nicht einschmelzen können und sie zu verkaufen fürchtete er sich, denn er dachte, man werde fragen, wo er sie her habe. Er nahm also das Geld und führte die Welschen wieder nach der hohen Mense, wo sie sich vor seinen Augen auf ihre Mäntel setzten und auf und davon fuhren. Er aber eilte jetzt ohne einen Augenblick zu verlieren querfeldein über Stock und Stein, über Berg und Thal, durch Wald und Moos geraden Wegs in die Mühle zu seiner Geliebten, und als er in die niedrige Stube trat, wo sein zukünftiger Schwiegervater gerade mit seiner Tochter bei Tische saß, da warf er die 300 Goldstücke, die er von den Welschen bekommen, hin auf die Erde und rief: „Hier ist der Preis für Euere Tochter, ich habe mir das Geld sauer genug verdient, nun haltet auch Ihr Euer Wort!“ Der Müller aber sprach: „Auch ohne dieses Geld wärest Du mir willkommen gewesen und hättest mein Mädchen zur Frau bekommen, denn ich habe sie aus Sehnsucht nach Dir von Tage zu Tage hinwelken sehen, und da hat mir das Herz weh gethan und ich habe mir gelobt, daß ich sie Dir auch wenn Du ganz arm zurückkehren würdest, freudig zum Weibe geben wolle.“ So wurden Beide doch noch ein glückliches Ehepaar.

Quelle: Sagenbuch des Preußischen Staats. von Dr. Johann Georg Theodor Graesse. Zweiter Band. Glogau. Verlag von Carl Flemming. 1871. (S. 196-212)
Standort: Staatsbibliothek Bamberg, Signatur: L.g.o.987-g(2
Digitalisat: Bayerische Staatsbibliothek München, Kein Urheberrechtsschutz (CC0 1.0 Universell)
www.digitale-sammlungen.de/de/details/bsb11723629

 

 

Benutzerdefinierte Suche

 

 

Zurück Zurück zum Inhaltsverzeichnis „Kultur und Geschichte“

 

Zur Homepage Zurück zur Homepage

 

© 2025 by Dipl.-Ing. Christian Drescher, Wendeburg
Erste Version vom 31.01.2025, letzte Aktualisierung am 31.01.2025.