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Kultur und Geschichte
der Grafschaft Glatz (Schlesien)

Musikkultur

Die Liebe zur Musik wurde den Bewohnern der Grafschaft Glatz schon in die Wiege gelegt. Ist doch der in der Mundart so oft wiederkehrende Vokal A schon Melodie: „Nee asu a schienes Kindla!“ Es ist erstaunlich, was dieses kleine von Bergen eingeschlossene Ländchen besonders an Volksmusik hervorgebracht hat.
Die geographische Nähe und die bis ins 18. Jh. währende politisch-kulturelle Verbindung mit Böhmen erklären unter anderem

  • die Vorliebe der Grafschafter zu instrumental begleiteter Kirchenmusik wie Messen, die Albendorfer Wallfahrts- und Marienlieder, das Reinerzer Osterlied und
  • die große Zahl der dörflichen Musikkapellen mit ausgeprägt böhmischer Instrumentalisierung mit Blechbläsern und Klarinetten.

Die kulturelle Verbundenheit mit Habsburg und Böhmen wird weiterhin in den Biographien von Musikschaffenden der Grafschaft sichtbar. Diese fühlten sich bis zur Mitte des 18. Jh. in der Ausbildung und Ausübung ihres Berufes zu den Zentren Wien, Prag und Brünn hingezogen. Erst nach 1750 richtete man sich mehr nach Berlin, Breslau oder Leipzig aus.
Die Abgeschiedenheit und Einsamkeit der Gebirgswelt mit den langen Winterabenden boten vielfältige Gelegenheiten zu musizieren und förderten den Drang zum musisch-schöpferischen Tun.
Aber was wäre die Musikkultur der Grafschaft ohne das Engagement und Können der Schulmeister! Der Schulmeister war Lehrer, Organist und Chorleiter in einem. Er war auch für die Instrumentalausbildung und die weltliche Musikpraxis zuständig. Er schuf die Grundlage für die seit dem 18. Jh. weitverbreitete instrumental begleitete Kirchenmusik. Pflanzstätte war das 1766 gegründete Lehrerseminar in Habelschwerdt. Die Präparandien in Landeck und Neurode kamen 1874 bzw. 1876 hinzu.
Das 1597 in Glatz entstandene Jesuitenkolleg und Konvikt war die Bildungsstätte der geistigen und musikalischen Elite der Grafschaft. Von 1644 bis 1808 bestritt das Konviktorchester die instrumentale Kirchenmusik in Glatz.
Gegen Ende des 16. Jh. entstanden Chorbruderschaften (Fraternitäten), die sich die Aufgabe stellten, die Gottesdienste und die Dorffeste zu verschönern (in Reinerz, Landeck, Albendorf, Habelschwerdt, Neurode und Eckersdorf).
Ins 17. Jh. fallen die Anfänge des Instrumentenbaues in der Grafschaft. Geigen-, Lauten- und Harfenmacher aus Böhmen kamen ins Land, angezogen von den Vorkommen des geflammten Berg- und Traubenahorns und der im Schneebergmassiv verbreiteten „Tonfichte“. Für den Geigenbauer war dies hier meist eine Nebenbeschäftigung im Winter; im Hauptberuf war er Bauer, Gärtner oder Handwerker.
Als geschätzter Orgel- und Klavierbauer wirkte in Landeck, einem Zentrum des Orgelbaues, Ignaz Menzel (1670-1730).
Nicht alle Komponisten und herausragenden Musiker der Grafschaft können hier erwähnt, geschweige denn eingehend gewürdigt werden. Daher ist ein Hinweis auf die weiterführende Literatur im Anhang angezeigt.
Simon Praunstein oder Braunstein (1571-1624) war einer der ersten Jesuiten des Glatzer Kollegs und zählt zu den bedeutendsten schlesischen Komponisten seiner Zeit. Er vertonte als erster in Schlesien deutschsprachige, also nichtlateinische Texte.
Christoph Pezel (1634 Glatz - 1694 Bautzen) gelangte als einer der ersten aus dem Kreis der Tonkünstler aus der Grafschaft außerhalb seiner Heimat zu hohem Ansehen.
Johann Franz Otto (1732 Niederhannsdorf - 1805 Glatz) wirkte als Organist an der Jesuitenkirche in Glatz. König Friedrich II. schätzte ihn und ließ sich bei jedem Aufenthalt in Glatz von ihm vorspielen. Neben der Orgel beherrschte Otto fast alle damals gebräuchlichen Instrumente. Sein Choralbuch, erschienen 1784 in Breslau, zeugt vom Wunsch nach Reformen in der kirchlichen Gebrauchsmusik.
Johann Georg Pausewang war um 1800 Organist in Mittelwalde und ein geschätzter Theorielehrer. Er ließ kaum etwas drucken, so daß wahrscheinlich einer seiner Schüler
Emanuel Alois Förster (1748 Niedersteine - 1823 Wien) von Pausewangs Kenntnissen stark profitierte. Er konnte sich in Wien etablieren und schuf fast ausschließlich Instumentalwerke, unter anderem 48 Streichquartette.
Anton Weigang (1751 Melling - 1829 Rengersdorf), Pfarrer. Er trug durch seine Leistungen in der Chorerziehung zum hohen Niveau der Kirchenmusik in der Grafschaft bei.
Florian Nentwig (1774 Altheide - 1841 Albendorf) wirkte an der Wallfahrtskirche in Albendorf. Zu seinen Schülern gehören unter anderen Ferdinand Broßwitz und Ignaz Reimann.
Ignaz Reimann (1820 Albendorf - 1885 Rengersdorf) schuf über 800 Werke. Er betrachtete seine Kompositionen als Gebrauchsmusik, ging sorglos mit ihnen um, so daß schon zu seinen Lebzeiten vieles verloren ging. 160 Werke erschienen im Druck. Seine Messen und kirchlichen Lieder waren auch in Süddeutschland, in Österreich und im Rheinland bekannt.
Joseph Güttler (1841 Hain - 1912 Langenbrück) schuf um die 600 Werke, die eine ähnliche Verbreitung fanden wie die von Ignaz Reimann.
Eduard Tauwitz (1812 Glatz - 1894 Prag), Musikdirektor und Akademieleiter in Prag, erlangte Popularität vor allem im Männerchorwesen. In Glatz setzte man ihm ein Denkmal.
Franz Eckert (1852 Neurode - 1916 Seoul/ Korea) ist ein Beispiel für die Vielfalt Grafschafter Musikalität. Er wurde Leiter der kaiserlich-japanischen Hofkapelle und arrangierte die japanische Nationalhymne.
Heinrich Reimann (1850 Rengersdorf - 1906 Berlin), Professor Dr. phil., ein Sohn von Ignaz Reimann, wirkte nach seinem Übertritt zum evangelischen Glauben als Organist an der Philharmonie und an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Als Publizist wies er als erster auf das Talent von Max Reger hin.
Georg Amft (1873 Oberhannsdorf - 1937 Altheide), Musikdirektor in Habelschwerdt, verdanken wir die bedeutendste, 1911 erschienene Lieddokumentation der Grafschaft Glatz.
Annelies Gabriele Kupper (1906 Glatz - 1987 Haar bei München) begann ihre Laufbahn als Sopranistin an der Breslauer Oper. Sie gab zwischen 1942 und 1958 Gastspiele unter anderem an den Bühnen von Bayreuth, Salzburg, London und Paris. 1958 erhielt sie eine Professur für Gesang an der Musikhochschule München. Sie war eine einfühlsame Liedinterpretin und gilt als eine der großen deutschen Opernsängerinnen des 20. Jh.
Paul Preis (1900 Glatz - 1979 Lüdenscheid) hat sich als Komponist, Kapellmeister und Musikwissenschaftler große Verdienste erworben und nach 1945 zur Gestaltung der Lüdenscheider Musiktage wesentlich beigetragen.
Im 20. Jh. nahm die Kurmusik einen gewaltigen Aufschwung. Ab 1939 fanden in Bad Kudowa die Sonderkonzerte Schlesische Komponisten dirigieren ihre Werke statt. Daran beteiligten sich auch Komponisten aus der Grafschaft: Franz Herzig, Alfred Wagner, Gerhard Strecke, Ernst August Voelkel und Paul Preis.
Was Paul Preis von sich und seinem Musikschaffen sagt, charakterisiert viele Komponisten der Grafschaft: Sie waren in ihrer Mehrzahl kompromißlose Anhänger der Romantik und blieben auch in ihrem künstlerischen Wirken dieser Grundhaltung treu.
Das Volk der Grafschaft Glatz liebt diese romantisch-innigen Gesänge und Musikstücke. Es pflegt und hütet diese nach der Vertreibung als ein kostbares Gut seiner Heimat, das ihm niemand rauben kann.

Hans Bönsch

 

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