Grafschaft Glatz > Kultur und Geschichte > Industrie und Gewerbe

Kultur und Geschichte
der Grafschaft Glatz (Schlesien)

Industrie und Gewerbe

Die Voraussetzungen für die Industrie und das Gewerbe in der Grafschaft Glatz finden wir in der Bodenbeschaffenheit, im Waldreichtum und in den Bodenschätzen unter Tage.
Der Grafschafter Steinkohlenbezirk gehört zu einem 60 km langen und 30 bis 35 km breiten Steinkohlenlager, das von Landeshut bis ins Braunauer Ländchen und über Waldenburg bis in den Raum Neurode reicht. Die ersten urkundlichen Nachrichten über den Kohleabbau gehen bis ins 14. Jh. zurück.
Die Kohleschichten treten hier am Muldenrande in den Ortschaften Mittelsteine, Schlegel, Köpprich, Kohlendorf-Neurode, Hausdorf, Mölke, Ludwigsdorf und Rudolfswaldau zutage.
Die „Neuroder Kohlen- und Tonwerke“ hatten 1940 bei einer Belegschaft von 3000 Mann einen Absatz von 599.000 t Steinkohle. Die Rubengrube förderte als einzige Gewinnungsstätte Deutschlands im selben Jahr 250.000 t feuerfesten Ton zur Herstellung von Schamotteziegeln und anderen hochhitzefesten Tonwaren.
Bei zwei Kohlensäuregasausbrüchen am 9. Juli 1930 im Kurtschacht in Hausdorf und am 10. Mai 1941 in der Rubengrube bei Neurode starben 151 bzw. 187 Bergmänner.
In der Grafschaft Glatz gibt es heute keine nennenswerten Erzlagerstätten mehr. Früher wurde in geringem Maße Erzbergbau betrieben. So gewann man Kupfererze bei Hausdorf und Köpprich, silberhaltigen Bleiglanz, Zinkblende und Kupferkies im Eulengebirge. 1581 wurde die freie Bergstadt Wilhelmsthal gegründet. Hier und in Nachbardörfern wurden verschiedene Erze, so auch Silber, gefördert. Als die Erzlager erschöpft waren, endete der Wohlstand, und 1882 gab Wilhelmsthal seine Stadtrechte freiwillig auf. Ein Silberbergwerk in Martinsberg wurde am Ende des 19. Jh. stillgelegt. Eisenerz baute man früher im Bielegebiet, in Köpprich, Heudorf, Winkeldorf, Klessengrund, Seitenberg, Gompersdorf, in Schreckendorf und Mittelwalde, im Hammertal bei Voigtsdorf und bei Reinerz ab.
Porphyr und Melaphyr werden auch heute noch bei Königswalde gebrochen, Basalt bei Landeck und Granit bei Dörnikau; Marmorbrüche gibt es bei Seitenberg. Die überall zutage tretenden Kalksteinlager dienen zur Gewinnung von Baukalk und als Straßenbaumaterial.
Von besonderer Bedeutung war der Abbau des Heuscheuersandsteins in Goldbach, Friedersdorf und Wünschelburg. Außer bei den Bauten im eigenen Umfeld (Kirchen, Brücken usw.) wurde Heuscheuer-Sandstein auch in Berlin, beispielsweise beim Reichstagsgebäude, verwendet.
Geeigneter Quarzsand, kieselsäurehaltiges Gestein und zunächst reiche Holzbestände als Feuerungsmaterial ermöglichten in der Grafschaft Glatz den Aufbau einer vielfältige Glasindustrie, die bereits 1358 erstmals erwähnt ist. Zahlreiche Orts- und Flurnamen deuten darauf hin.
1923 waren fast 3000 Menschen in der Glasindustrie beschäftigt. 1930 gab es in der Grafschaft Glatz 40 kleinere und mittlere sowie zehn große Betriebe der Glasherstellung und -verarbeitung, so in Rückers, Friedrichsgrund bei Rückers, Altheide, Kaiserswalde und Seitenberg-Schreckendorf. Veredelungsbetriebe arbeiteten in Reinerz, Rückers, Gläsendorf, Biebersdorf, Friedrichsgrund, Glatz und Goldbach.
Der Waldreichtum und die Wasserkräfte der Grafschaft Glatz bildeten die Grundlage für eine ausgedehnte Holzindustrie, die auch in der sogenannten Hausindustrie - einer Vielzahl von Kleinbetrieben - der Bevölkerung Arbeit gab.
Das Holz wurde verarbeitet in Zündholzfabriken (Habelschwerdt, Langenbrück), Holzschleifereien (Olbersdorf, Wölfelsdorf) und Holzstoffwerken (Altweistritz, Voigtsdorf/H., Reyersdorf, Landeck, Wölfelsdorf), Papierfabriken (Neuweistritz, Mühldorf), zur Herstellung von Kartons, Schachteln (Olbersdorf, Ebersdorf/Hab., Habelschwerdt, Lichtenwalde), Rollos und Jalousien (Neurode, Wünschelburg) und in zahlreichen Meilern zur Holzkohlegewinnung. Einen eigenen Industriezweig bildeten die Sägewerke.
In Reinerz bestand bereits vor 1562 eine Papiermühle, die aus Hadern hochwertiges Büttenpapier, unter anderem für die Urkunden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, herstellte. Die Besitzer Gregor und Georg Kretschmer wurde 1607 wegen ihrer Verdienste um die Papierherstellung von Kaiser Rudolf II. mit dem Prädikat von Schenkendorf geadelt. 1750 wurde der Besitzer Anton Benedikt Heller zum preußischen Hofpapiermacher ernannt. Das heute noch bestehende Gebäude, jetzt Papiermuseum, stammt aus dem Jahre 1605. - Kleinere, zu Anfang des 19. Jh. gegründete Papiermühlen in Habelschwerdt, Hartau, Lauterbach, Seitenberg und Urnitz gingen bald wieder ein, ein Betrieb in Friedrichsgrund/Hab. hielt sich länger.
Neben der Verwertung des Holzes in der Schnitzkunst diente es auch als Grundlage für den Geigenbau. Im Laufe von 170 Jahren hat es 24 Geigenbauer in der Grafschaft Glatz gegeben. Die letzten Vertreter dieser Zunft wirkten in Hausdorf, Ludwigsdorf und Neurode.
Für die Gebirgler war oft der Anbau und die Verarbeitung von Flachs der Haupterwerb. Unter Kaiser Rudolf II. erhielt die Grafschaft Glatz 1590 das Recht, innerhalb der städtischen Bannmeile auf ihren Gütern Leineweber anzusetzen. Das führte zunächst zu einem überraschend schnellen Aufblühen dieses Handwerks, das meist als Nebenerwerb ausgeübt wurde, aber mit dem Aufkommen der Maschinenweberei in bittere Not geriet. Um 1830 hatte sich die Baumwollweberei durchgesetzt. 1844 griffen die schlesischen Weberaufstände nach Tscherbeney und Hausdorf über. 1890 waren allein im Hummelbezirk neben den industriellen Webereien 2640 Handwebstühle in Betrieb, von denen ungefähr 4000 Menschen lebten.
Die industrielle Verarbeitung des Flachses erfolgte in Flachsrösten (Oberlangenau, Weißbrodt) und in der Spinnerei in Ullersdorf. Leinen- bzw. Baumwollwebereien gab es in Gellenau, Reinerz, Rengersdorf, im Neuroder Gebiet, in Grenzeck, Lauterbach, Mittelwalde, Rosenthal, Schönfeld, Thanndorf, Wölfelsdorf, eine Baumwollspinnerei in Mittelsteine. Die Textilindustrie der Grafschaft Glatz beschäftigte 1907 in 3173 Haupt- und 505 Nebenbetrieben 8145 Personen. Wollweberei und Wollhandel, die im Mittelalter und noch zu Beginn des 17. Jh. in hoher Blüte standen, erlebten in der zweiten Hälfte des 19. Jh. ihren Niedergang.
Die Ausbildung in der dekorativen Gestaltung der Leinenerzeugnisse erfolgte in Stickschulen in (Habelschwerdt, Lewin, Mittelwalde, Neurode und Wünschelburg.
1928 dienten der Milchwirtschaft 19 Molkereien. Mühlen, Brauereien und Brennereien verarbeiteten die Erzeugnisse des Getreide- und Kartoffelanbaus. Zuckerfabriken gab es in Eckersdorf und Niederschwedeldorf.
Druckereien und Verlage arbeiteten hauptsächlich in Glatz, Neurode und Habelschwerdt. Der in Neurode bei W. W. Klambt erscheinende Hausfreund für Stadt und Land wurde in ganz Deutschland gelesen und hatte Anfang 1927 eine Auflage von 150.000 Exemplaren.
Wichtig für den Auf- und Ausbau der Industriebetriebe waren vor allem die beiden Elektrizitätswerke in Mittelsteine und Mölke-Ludwigsdorf. Beide Kraftwerke verwerteten Kohleabfälle aus dem Neuroder Gebiet und erzeugten 1927 zusammen eine Leistung von 60.000 kW. Mölke war an das Verbundnetz der „Elektrizitätswerke Schlesien A.G.“ angeschlossen. Das Mittelsteiner Werk erzeugte hauptsächlich den Bahnstrom für die elektrifizierten schlesischen Reichsbahnstrecken.

Werner Taubitz

 

Benutzerdefinierte Suche

 

 

Zurück Zurück zum Inhaltsverzeichnis „Kultur und Geschichte“

 

Zur Homepage Zurück zur Homepage

 

Nähere Informationen über diese Internetseite erhalten Sie von Dipl.-Ing. Christian Drescher per Kontakt-FormularCounter 1

 

© 1999-2010 by Dipl.-Ing. Christian Drescher, Wendeburg-Zweidorf, Kontakt: Feedback-Formular.
Testversion vom 17.10.1999, erste Version vom 11.11.1999, letzte Aktualisierung am 24.05.2010.