Kultur und Geschichte
der Grafschaft Glatz (Schlesien)
Die Grafschaft Glatz - das schlesische Bäder- und Erholungsland
Die Grafschaft Glatz ist die bäderreichste Region Schlesiens.
Während ihre Fläche wie ihre Bevölkerung - bezogen auf die gesamte
Provinz - nur etwa 4% ausmachte, besitzt sie fünf der zehn schlesischen Badeorte.
Sie entwickelten sich am Anfang unseres Jahrhunderts meist viel stärker als die
übrigen schlesischen Bäder. Schlesiens höchstfrequentierte Badeorte
waren im Jahre 1909 mit mehr als 9.500 Kurgästen Bad Kudowa, das älteste
deutsche Herzbad mit der stärksten Arsenquelle Deutschlands, und Bad Landeck,
der älteste Badeort Schlesiens mit seiner ersten gedruckten Badeordnung von 1601,
mit knapp 9.000 Kurgästen. Mit weitem Abstand folgten die schlesischen Bäder
Salzbrunn und Warmbrunn. Bad Reinerz, höchstgelegener Badeort Preußens,
galt als eines der bedeutendsten Herzbäder der Welt. Bad Altheide, das
jüngste der Grafschafter Bäder (gegründet 1828), hatte bis 1943 die
stürmischste Entwicklung. Das kleinste der Bäder, Bad Langenau,
besitzt die ältesten Moorbäder Schlesiens. Das sehr kleine, erst 1836
eröffnete Bad Centnerbrunn mit seinen Kaltwasserkuren spielte nur bis
zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine gewisse Rolle; seit den 20er Jahren des
20. Jh. diente es anderen Zwecken, so als Schulungs- und Müttererholungsheim.
Der Ort blieb ein beliebtes Ausflugsziel.
Erfolg und Ansehen der Grafschafter Bäder beruhen in erster Linie auf der Qualität
und der therapeutischen Wirkung ihrer Mineralquellen, zumeist kohlensäure- und
eisenhaltige, kalte mineralische Säuerlinge. In Bad Landeck gibt es kohlensäure-
und eisenfreie, schwefelwasserstoffhaltige warme Quellen. Die Bäder der Grafschaft
bieten neben ihren Trink- und Badekuren auch Moorbäder an. Wichtige Faktoren
sind das gemäßigt feucht-kühle Klima im Windschutz, die reizvolle
Landschaft und die Verkehrsanbindung.
Seit der Zeit um die Jahrhundertwende spielte die Eisenbahn eine besondere Rolle:
Altheide, Reinerz und Kudowa waren Ende der 30er Jahre mit Berlin und Breslau direkt
durch den Bäder-D-Zug verbunden, Bad Langenau war Schnellzugstation der Linie
Breslau-Wien. Hinzu mußte die Initiative der Eigentümer und der Badeverwaltungen
kommen, um hervorragende Kuranlagen zu schaffen, das kulturelle Angebot der Badeorte
attraktiv zu gestalten und erstklassige Ärzte anzuziehen. So konnten die Bäder
auch verwöhntesten Ansprüchen genügen. Sie erlangten bis zum Beginn
des 2. Weltkrieges eine große wirtschaftliche Bedeutung für die
Region, die nach dem Kriege noch nicht wiedererreicht wurde. Seit 1993 wurden sehr
erhebliche Verbesserungen erzielt, und die heutigen polnischen Betreiber arbeiten
an einer Hebung der Attraktivität. Die Hochwasserkatastrophe von 1997 brachte
einen schweren Rückschlag.
Unterstrichen wird die Bedeutung der Grafschafter Bäder durch besonders prominente
Kurgäste: in Bad Landeck weilten 1496 Herzog Heinrich der Ältere, 1765
Friedrich der Große, 1790 Goethe, 1800 Königin Louise, 1813 Friedrich
Wilhelm III. und in Reinerz Frederic Chopin (1826), Felix Mendelssohn-Bartholdy
(1823), Adalbert v. Chamisso (1835) und 1861 der spätere Ehrenbürger Karl
von Holtei.
Friedrich der Große ließ den Bädern Reinerz und Kudowa besondere
Förderung zukommen.
1930 verzeichnet der Glatzer Gebirgsverein fast 850 Sommerfrischen. Als Luftkurort
ist Wölfelsgrund mit seinen Sanatorien, Kliniken und Hotels hervorzuheben.
Für die Wanderer sorgten 45 Bauden und 24 Jugendherbergen.
Eine besondere Rolle spielte der Wintersport, der sich um 1900 in der Grafschaft
entwickelte. Bis 1910 stand der Rodelsport im Vordergrund.
Tabelle: Die Badeorte der Grafschaft Glatz
|
Bad Altheide |
Bad Kudowa |
Bad Landeck |
Bad Langenau |
Bad Reinerz |
Meereshöhe |
400 m |
400 m |
500 m |
400 m |
568 m |
Entdeckung/ Badebetrieb |
1625/1828 |
1581/vor 1757 |
vor 1242/um 1400 |
1563/1802 |
1408/1751 |
Kurgäste * |
400/8.000/18.100 |
2.200/7.300/19.100 |
2.600/10.400/11.600 |
1.200/1.700/? |
4.000/7.100/19.400 |
Bestandteile |
Kohlensäure, Eisen |
Kohlensäure; teilweise Arsen, Radium |
Schwefelwasserstoff, teilweise Radium |
Kohlensäure, Eisen |
Kohlensäure, Eisen; teilweise Radium |
Quellentemperatur |
um 12° C |
um 11° C |
19,5° C bis 29,6° C |
um 10° C |
13,7° C bis 21,4° C |
Sonstige Kurmittel |
Eisenhaltige Moorbäder, Molkenkuren, Hydrotherapie |
Moorbäder, Milch-, Molkenkuren |
Moorbäder, Hydrotherapie |
Eisenhaltige Moorbäder, radioaktiv; Milch-, Molkenkuren |
Eisenhaltige Moorbäder, Milch-, Molkenkuren |
Erkrankungen: |
Stoffwechsel |
|
|
|
X |
X |
Herz, Kreislauf |
X |
X |
|
X |
X |
Blutkrankheiten |
X |
X |
|
X |
X |
Frauenleiden |
X |
X |
X |
X |
X |
Nervenleiden |
X |
X |
X |
X |
X |
Rheuma |
X |
X |
X |
|
X |
Magen, Darm |
seit 1950 |
|
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|
X |
Atemorgane |
|
X |
|
|
X |
Blase, Niere |
|
X |
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|
X |
Basedow |
|
X |
|
|
|
Altersstörungen |
|
|
X |
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|
* Kurgästezahlen in den Jahren 1890/1920/1940 |
1914 wurde der erste schlesische Skiverbandswettlauf in Reinerz
ausgetragen, und in der Grafschaft entstanden vier Skivereinigungen. 1924 waren es
schon 15, darunter die Skiabteilung des Gymnasiums Glatz mit 212 Gymnasiasten. Vom
Winter 1921/22 an fanden in Reinerz die Wintersportlehrgänge für die Studenten
der Deutschen Hochschule für Leibesübungen (Berlin) statt.
Reinerz war nun führend im Wintersport der Grafschaft. Die Stadt baute außer
zwei künstlichen Rodelbahnen (900 und 1.500 m lang) mehrere Sprungschanzen.
Für den sonst in der Grafschaft fast unbekannten Eissport stellte sie eine neue
Kunsteisbahn mit einer beheizten Schutzhütte zur Verfügung. 1924 brachte
der Schlesische Jugendskitag circa 1.000 Kinder nach Reinerz.
Neben den Bädern waren auch andere Orte der Grafschaft beliebte Ziele für
die Wintersportler. Schon 1906 bot in Grunwald, das heute mit Skiliften gut ausgestattet
ist, ein Gastwirt Leihskier an. Auch auf dem Schneeberg, in Wölfelsgrund und
in Landeck fanden Skikurse statt. Im Eulengebirge entwickelte sich ein ausgesprochener
Massenbetrieb.
Seit 1893 wurden in der Grafschaft auch Skier hergestellt: man nannte sie hier „Schneeschuhe“
oder volkstümlich „Brettel“, mundartlich-liebevoll „Braatlan“.
Dieter Pohl
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