Kultur und Geschichte
der Grafschaft Glatz (Schlesien)
Überblick über die Kirchengeschichte der Grafschaft Glatz
Die Grafschaft Glatz gehörte seit dem 13. Jahrhundert zur Erzdiözese Prag. Bereits zu Ende des 12. Jahrhunderts wurde das Dekanat Glatz als zum Archidiakonat Königgrätz gehörig erwähnt. Der erste Dechant, von dem die Glatzer Urkunden berichten, war der Pfarrer C. (vielleicht Christoph) von Niederschwedeldorf nach der Mitte des 13. Jahrhunderts. Glatzer Dechanten sind auch Archidiakone oder Vice-Archidiakone gewesen. Im 17. Jahrhundert hob der damalige Prager Fürst-Erzbischof Kardinal Graf von Harrach die bisherige Archidiakonatsverfassung seiner Erzdiözese auf. Die Titel Archidiakon und Dechant sind von da an bloße Ehrentitel. Die Erzdiözese erfuhr eine Einteilung in Vikariate mit je einem erzbischöflichen Vicarius an der Spitze. Am 24. Januar 1631 wurde Dechant Hieronymus KECK zum ersten „auswärtigen Vikar“ (vicarius foraneus) in der Grafschaft ernannt und erhielt als solcher das Recht, kanonische Visitationen vorzunehmen. Am 20. Januar 1789 wurde der fürst-erzbischöfliche Vikar und Dechant WINTER vom Prager Erzbischof zum Archidiaconus mit der Befugnis, ein Prälatenkreuz zu tragen, ernannt. Diese Würde sollte auch auf die nachfolgenden Vikare übergehen. Im Jahre 1810 kam staatlicherseits anstelle des Titels „Königliches Dekanatamt“ die Bezeichnung „Groß-Dekanatsamt“ auf. Seitdem ist für den erzbischöflichen Vikar der Grafschaft Glatz auch der Titel „Großdechant“ üblich geworden. Durch die Circumscriptionsbulle „De salute animarum“ vom 16. Juli 1821 wurde die dem damaligen Großdechanten KNAUER (dem späteren Fürstbischof von Breslau) schon am 15. März 1820 verliehene Würde eines Ehrendomherren des Domstifts von Breslau auch für seine Nachfolger gesichert. Der Großdechant Anton LUDWIG erhielt 1857 für sich und seine Nachfolger die päpstliche Bestätigung des Rechtes, das Pectoralkreuz zu
tragen und dazu als persönliche Auszeichnung die Inful (Mitra). Am 20. August 1920 wurde das fürsterzbischöfliche Vikariat der Grafschaft Glatz ein Generalvikariat. Damit wurde der Großdechant und fürst-erzbischöfliche Vikar der Grafschaft Glatz nunmehr der Generalvikar für den preußischen Anteil der Erzdiözese Prag. Erster Generalvikar wurde Prälat Dr. Edmund SCHOLZ. Ihm folgte von 1921 bis 1937 Prälat Franz DITTERT. Am 28. Februar 1938 wurde Dr. theol. Franz MONSE, Stadtpfarrer an der Dekanatskirche zu Glatz zum Großdechanten und Generalvikar ernannt. Er starb am 24. Februar 1962 im Waldkrankenhaus zu Bad Rothenfelde. In seine Zeit fiel die Vertreibung aller Deutschen jenseits der Oder-Neiße-Linie. Was er im Auftrage des Hochw. Herrn Erzbischofs Dr. Beran von Prag dem Klerus und Gläubigen aus der Grafschaft Glatz nach ihrer Vertreibung durch seine Seelsorge gewesen ist, hat unter dem Dekret vom 30. November 1962 der Hochwürdigste Herr Erzbischof von Köln, Kardinal Frings, in seiner Eigenschaft als Hoher Päpstlicher Protektor für das gesamte Flüchtlingsproblem der Vertriebenen in Deutschland kraft apostolischer Vollmacht vom 25. September 1962 dem Kurator der Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth, Wirklichem Geistlichen Rat Leo CHRISTOPH in Reinbek bei Hamburg übertragen. Er wurde für den Glatzer Klerus und für das Glatzer Volk in Deutschland zum Kanonischen Visitator ernannt, der aus geschichtlichen Gründen den Titel „Großdechant“ haben soll. Er wurde, wie seine Vorgänger, Mitglied der Fuldaer Bischofskonferenz und mit Urkunde vom 19. Januar 1963 von Papst Johannes XXIII. zum Päpstlichen Haus-prälaten, am 5. Mai 1967 von Papst Paul VI. zum Apostolischen Protonotar a.i.p. ernannt. Großdechant Leo Christoph setzte wichtige und neue Akzente in der Vertriebenenseelsorge in unermüdlichem Eifer für die Priester unserer Heimat über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. Das brachte ihm wie seinem Vorgänger Dr. Franz Monse bald den ehrenvollen Namen „Vater des Grafschafter Gottesvolkes“ ein. Die Wallfahrten und Heimattreffen, bei denen fast immer unsere Heimatpriester anwesend waren und sind, wurden zum festen Element des religiösen Lebens, das die Heimatvertriebenen in der Fremde immer wieder neu bestärkte. Großdechant Leo Christoph glich einem Hausvater, der aus seinem Vorrat Neues und Altes immer wieder hervorholte. Er verstand es, Brücken zu bauen in lebendigem Glauben zu Gott, unserem gemeinsamen Vater im Himmel.
Mit 75 Jahren gab Großdechant Leo Christoph sein Amt in jüngere Hände und wurde Seelsorger für die im Ruhestand lebenden Elisabethschwestern in Reinbek. Am 3. Januar 1985 gab er sein Leben in die Hände des Schöpfers zurück.
Mit Pastor Paul Sommer aus Bünde-Holsen übernahm der Priester aus der Grafschaft Glatz das Amt des Großdechanten, der als letzter für die Grafschaft in Breslau am 21. Dezember 1941 geweiht worden war. Die Ernennung zum Kanonischen Visitator für Priester und Gläubige aus der Grafschaft Glatz mit dem Titel „Großdechant“ erfolgte am 15. August 1977, zum Päpstlichen Ehrenprälaten am 8. Oktober 1977 und zum Apostolischen Protonotar am 3. März 1982. Großdechant Paul Sommer stellte sich im Dienst an den Heimatvertriebenen der Doppelbelastung als Pastor seiner von ihm in der Diaspora aufgebauten und stets geliebten Gemeinde in Holsen und als Großdechant für die in der Zerstreuung lebenden Landsleute. Ein Leben lang war er in der Heimat und in der Fremde uneigennützig und voller Eifer für die Menschen und das Reich Gottes unterwegs. Ein schwerer Kreuzweg, den er tapfer ging, vollendete sein Leben für die ewige Heimat am 26. März 1983.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Joseph Kardinal Höffner ernannte am 29. September 1983 den Diözesanpräses der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) im Bistum Münster, Franz Jung zum Kanonischen Visitator mit dem Titel „Großdechant“ für die Priester und Gläubigen aus der Grafschaft Glatz. Er wurde am 3. Dezember 1936 in Neundorf, Krs. Habelschwerdt, geboren und wuchs in Gläsendorf bei Mittelwalde auf. Zum Priester wurde unser neuer Großdechant am 29. Juni 1964 in Münster geweiht. Er gehört zu den Priestern aus der Heimat, die durch die Grafschaft Glatzer Jugend ein gutes Stück ihrer Prägung erfahren haben. So liegt ihm am Herzen, besonders auch den Kontakt zu den jüngeren Mitbrüdern zu halten, damit die Sorge um das Grafschafter Gottesvolk noch lange von vielen Mitbrüdern mitgetragen wird. Die Ernennung zum Päpstlichen Ehrenprälaten erfolgte am 3. Dezember 1983. Seit 1989 ist Großdechant Franz Jung nicht mehr KAB-Präses, sondern Pfarrer von St. Aegidii in Münster. 1990 wurde er Apostolischer Protonotar.
Die Grafschaft Glatz zählte 1945 insgesamt 55 Pfarreien und 9 Kuratien, 5 Männerkloster und viele Niederlassungen von 9 Schwesternkongregationen; zur Zeit der Vertreibung standen 138 Priester im Dienste der Seelsorge in der Heimat.
Unsere Heimat, die Grafschaft Glatz, gehört seit der Entscheidung des Vatikans über die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße – und davon ist die Grafschaft Glatz betroffen – am 28. Juni 1972 nicht mehr zur Erzdiözese Prag, sondern wurde der Erzdiözese Breslau eingegliedert. In den Bestimmungen der Neuordnung heißt es in „Acta Apostolicae Sedis“ Nr.10/72 pag. 657: „Desweiteren trennen wir die Dekanate Habelschwerdt, Glatz, Neurode und Bad Altheide von dem Gebiet der Erzdiözese Prag ... und verbinden sie für immer mit der Erzdiözese Breslau ...“. Die Grafschafter pflegen aber weiterhin den Kontakt zum Erzbistum Prag.
Kurt Ungrad
Dezernent für Kirchengeschichte der Grafschaft Glatz
aus: „PERSONALSCHEMATISMUS des katholischen Klerus aus der Grafschaft Glatz“ 1994, Seiten 4-6