Gestalt, Werden und Bedeutung des Glatzer Landes

IV. Geschichtliche Entwicklung

Zahlreiche Spuren von menschlichen Siedlungen beweisen, daß in der Grafschaft Glatz schon sehr früh Menschen lebten. Aus vorgeschichtlicher Zeit sind etwa drei Dutzend Fundstellen vorhanden, und zwar besonders bei Wartha, im Raum Bad Reinerz bis Nachod und bei Mittelwalde, ein Hinweis auf die wichtige geopolitische Lage der Grafschaft. Außerhalb der Hauptverkehrswege haben wir Funde aus Zaughals, Volpersdorf-Köpprich, Schwenz und Rosenthal.
Die Klimaverschlechterung am Ende der Bronzezeit (etwa um 1000 v. Chr.) begünstigte die Ausbreitung des Waldes. Dadurch wurden zwar Besiedlung und Verkehr erschwert, doch blieb ein nachbarlicher Verkehr zwischen den Kernlandschaften Böhmen und Schlesien immer bestehen. In den Jahrhunderten um Christi Geburt war das Glatzer Land von Wandalen, einem germanischen Volksstamm, bewohnt. Einem seiner Gaue, Silingen, verdankt Schlesien seinen Namen. Als in der großen Völkerwanderung (4./5. Jh.) die germanischen Volksstämme bis auf Restgruppen Schlesien und die Grafschaft Glatz verließen, nahmen Slawen die weitgehend verlassenen Siedlungsplätze ein.
In der darauffolgenden Zeit kam der schlesische Raum kaum zur Ruhe, denn jahrhundertelang waren böhmisch-polnische Fehden im Gange, deren Leidtragende wegen ihrer günstigen Lage als Durchzugsgebiet der Heere nicht zuletzt die Grafschaft war. Es blieb nicht aus, daß ihr Besitzer oft wechselte. Ein wichtiger Beleg für diese Zeit stammt aus dem Jahre 981, als der Prager Domdekan Cosmas "Kladsko" (Glatz) als eine "gegen Polen zu gelegene Grenzfestung" erwähnt; er bezeugt damit Glatz als den geschichtlich ältesten Ort Schlesiens. Besitzer waren die böhmischen Przemysliden. Um diese Zeit entstanden einige böhmische Hörigendörfer.
Im Rahmen der Ostkolonisation, von den böhmischen Königen ebenso wie von den schlesischen Piastenherzögen sowie von geistlichen Landesherren veranlaßt, kamen im 12. und 13. Jahrhundert viele deutsche Siedler, z.B. aus Thüringen, Franken, Hessen und der Markgrafschaft Meißen, ins Glatzer Land. Nun entwickelte sich Glatz zur deutschen Stadt, an den Wasserläufen entstanden deutsche Reihendörfer. Im Neißetal sowie in den größeren Seitentälern entwickelten sich Marktorte, in denen sich vor allem Handwerker und Kaufleute niederließen und die wirtschaftliche Mittelpunkte für die umliegenden Dörfer wurden. Im Bieletal war es Landeck, im Weistritztal Reinerz, am Wege von Glatz nach Braunau an der Posna Wünschelburg, im mittleren und oberen Neißetal waren es Habelschwerdt und Mittelwalde und im Tal der Walditz Neurode.
Diese Städte wurden, soweit es die Geländeformen zuließen, nach geplantem Grundriß angelegt: in der Mitte der viereckige Marktplatz, Ring genannt (von germanisch: "Thing" - Stätte der germanischen Volksversammlung/Gerichte). Möglichst rechtwinklig gingen von ihm die Straßen ab. Auf dem Ring wurde das Rathaus errichtet, dessen Untergeschoß oft dem örtlichen Handel diente. Rund um den Ring und in seiner Nähe erbauten Kaufleute und Handwerker ihre Häuser, während die Ackerbürger zum Ortsrand hin siedelten. Durch eine Stadtmauer mit Toren und Türmen waren in der Grafschaft nur Glatz, Habelschwerdt und Wünschelburg geschützt, die übrigen Marktorte waren "offene Städte".
Die deutschen Siedler, vor allem die Bauern, wurden in der Regel im Auftrag der Landesherren von Werbern, den Lokatoren, im Westen angeworben und im geschlossenen Zug in die neue Heimat geführt. Hier am vorbestimmten Ort am Fluß oder Bach wurden die Hufen (ca. 24 ha, bei besseren Flächen, z.B. in der Ebene, ca. 17 ha) vermessen und jedem Siedler sein Feldstreifen zugewiesen, der sich von der fruchtbaren Flußaue bis zur bewaldeten Höhe hinzog (Waldhufendorf). Der Lokator, der als Schultheiß das Dorf leitete und Freirichter war, erhielt mehrere Hufen, für die Pfarrstelle und die Kirche waren meist zwei Hufen vorgesehen. Die Freirichter hatten das Recht der niederen Jagd, des Fischfangs, des Bierbrauens und Branntweinbrennens und durften ein Schankhaus einrichten. Die Dörfer erhielten manchmal den Namen des jeweiligen Gründers.
Der deutsche Einfluß war dominierend geworden, als die Przemysliden 1306 ausstarben. Deutsch war die Gerichtssprache, die des Adels, der Bürger, der Bauern; die Slawen in Glatz waren in die Gemeinde aufgenommen und die böhmischen Dörfer um Glatz zu deutschem Recht umgelegt.
1278 kam das Land durch Erbvertrag an Herzog Heinrich IV. von Breslau; seitdem bestanden enge kulturelle Beziehungen mit dem schlesischen Tiefland. Später wurde das Glatzer Land noch häufig verpfändet und verlehnt, weshalb es der böhmischen Krone immer mehr entfremdet wurde. Seine Blütezeit hatte es unter dem sel. Arnestus von Pardubitz (1297 - 1364), dem ersten Erzbischof von Prag, dessen Leichnam in der Pfarrkirche zu Glatz ruht, mit deren Bau damals begonnen wurde. In der gleichen Zeit verzichtete König Kasimir III. von Polen im Vertrag von Trentschin 1335 auf alle Ansprüche, die er von sich aus auf die unter böhmische Hoheit getretenen schlesischen Gebiete erhoben hatte.
1421 - 1430 verwüsteten die Hussiten, die Anhänger des tschechischen Reformators Jan Hus, das Land, fanden aber bei der Bevölkerung keinen Anklang mit ihrer Lehre.
1459 wurde das Glatzer Land durch König Georg Podiebrad von Böhmen (1458 - 1471) zur Grafschaft erhoben; dieses wurde 1462 durch Kaiser Friedrich III. bestätigt.
Um 1525 fand die Lehre Luthers Eingang in die Grafschaft Glatz, später waren es die Lehren der Schwenkfelder, Wiedertäufer und weiterer Sekten. 1548 erließ König Ferdinand I. ein Verbot verschiedener Sekten und verfügte die Ausweisung ihrer Vertreter.
Im Dreißigjährigen Krieg (1618 - 1648) schlossen sich die Bewohner der Grafschaft und Schlesiens, die überwiegend protestantisch geworden waren, den Aufständischen in Böhmen an. Das führte nach der Eroberung von Glatz (1622) durch die kaiserlichen Truppen zur Aufhebung der Vorrechte des Adels, der Städte und des ländlichen Richterstandes und zur Vertreibung der meisten protestantischen Adelsgeschlechter.
Unter Kaiser Ferdinand II. wurden die Bewohner der Grafschaft zur katholischen Kirche zurückgeführt. 1650 wurden Adel und Bürgern ihre Privilegien zurückgegeben.
Ein neuer Abschnitt Grafschafter Geschichte begann, als Friedrich II. (der Große) um Schlesien und die Grafschaft die drei Schlesischen Kriege (1740 - 1742, 1744 - 1745, 1756 - 1763) führte und die Grafschaft Glatz im Jahre 1742 der preußischen Monarchie einverleibte. Nun wurde das Glatzer Land einer der 48 neugeschaffenen schlesischen Kreise und direkt Breslau unterstellt. Trotz der Schlacht bei Habelschwerdt im 2. Schlesischen Krieg und der Eroberung der Festung Glatz im 3. Krieg kam das Glatzer Land, welches inzwischen wieder von den Österreichern verwaltet wurde, durch den Hubertusburger Frieden 1763 endgültig in den Besitz Preußens und war seitdem ein Teil Schlesiens.
Die erfolgreiche Verteidigung der Grafschaft und der Festung Glatz unter Führung von Generalleutnant Graf von Götzen in den napoleonischen Kriegen 1806/07 stärkte im Volk den Willen zur eigenen Freiheit. Durch Edikt vom 9. Oktober 1807 wurde die Gutsuntertänigkeit aufgehoben, 1808 wurde eine neue Städteordnung erlassen und 1810 die Gewerbefreiheit erteilt. Die neue Verfassung von 1818 machte jeden Preußen vor dem Gesetz gleich.
1818 wurde aus dem südlichen Teil des Kreises Glatz der Kreis Habelschwerdt gebildet, der eine Größe von 791,58 kmē hatte und 1939 in 90 Gemeinden 56.346 Einwohner zählte. Der verbliebene Teil wurde 1855 in die beiden Kreise Glatz (mit 73.247 Einwohnern im Jahre 1939) und Neurode (51.922 Einwohner im Jahre 1939) unterteilt, aber im Zuge einer Verwaltungsreform in Schlesien im Jahre 1932 wieder zu einem Kreis Glatz mit 844,25 kmē vereinigt, der im Jahre 1939 in 101 Gemeinden 125.169 Einwohner hatte. Im Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 - nach dem Ersten Weltkrieg - kam die Grafschaft noch einmal glimpflich davon; sie blieb gegen den Willen der Tschechen ungeteilt bei Deutschland.
Im Zweiten Weltkrieg blieb die Grafschaft von direkten Kriegshandlungen verschont, da der Vorstoß der Roten Armee zu Kriegsende sich auf die schlesische Ebene beschränkte; auch Bombenangriffe gab es kaum. Am 9. Mai 1945, dem Tag nach der Kapitulation, wurde das Glatzer Land von den Sowjets besetzt, die deutsche "Antifaschisten" als Treuhänder in die Verwaltung einsetzten, die dann ab Juni 1945 von Polen abgelöst wurden.
Besonders der Sommer und der Herbst 1945 waren für die Grafschafter Menschen eine schlimme Leidenszeit, da viele Angehörige der siegreichen Roten Armee und der polnischen Miliz (mit vielen jungen Männern fragwürdiger Vergangenheit) die Grafschaft ausplünderten und die Deutschen schwer drangsalierten, viele folterten, verschleppten und töteten. Nach und nach übernahmen Polen, häufig vertrieben aus dem von der Sowjetunion nun wieder beanspruchten Ostpolen, die Höfe, Betriebe und Fabriken und besetzten Wohnungen.
Durch das Potsdamer Protokoll (02.08.1945) kam die Grafschaft mit anderen deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie unter polnische Verwaltung. 1946/47 wurde der allergrößte Teil der Grafschafter aus ihrer Heimat vertrieben, ein weiterer Teil folgte 1957. Nur wenige Menschen deutscher Herkunft konnten in der angestammten Heimat bleiben.
Das Glatzer Land gehörte bis 1975 zur Wojewodschaft Breslau (Wrocław), dann gliederte man es der Wojewodschaft Waldenburg (Wałbrzych) an. Kreise bestehen z. Zt. im Glatzer Land nicht. Die früher vorhandenen 191 Gemeinden sind durch polnische kommunale Neugliederung in den letzten Jahren zu 14 Städten und Gemeinden zusammengefaßt worden.

 

 

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Text by Junge Grafschaft
Layout by Dipl.-Ing. Christian Drescher, Wendeburg-Zweidorf, Kontakt: Feedback-Formular.
Erste Version vom 03.07.2002, letzte Aktualisierung am 03.07.2002.