Anhang

 

Die Junge Grafschaft und die Grafschaft Glatz – gestern und heute

Die Junge Grafschaft entstand nach Krieg und Vertreibung. Den katholischen Geistlichen unter Leitung von Großdechant Dr. Franz Monse, dem letzten deutschen Generalvikar von Glatz, war es ein Anliegen, die katholischen Jugendlichen der Grafschaft Glatz in der Vertreibung zusammenzuführen. Gemeinschaft und Geborgenheit zu finden, waren Beweggründe für die jungen Menschen, diesem Anliegen zu folgen. Natürlich sollten die jungen Menschen auch darauf vorbereitet sein, wenn die friedliche Rückkehr in die Heimat wieder möglich sein sollte. Doch schon bald stellte sich heraus, daß diese Rückkehr, so sehr sie auch von offizieller Seite propagiert wurde, nur sehr schwer möglich sein sollte. Doch auch oder vielleicht gerade mit dieser Gewißheit war die Junge Grafschaft selbst für die Jugendlichen zu einem wichtigen Stück Heimat geworden. Die Beschäftigung mit der alten Heimat war nach wie vor ein beherrschendes Thema, doch angesichts der politischen Verhältnisse und des Unrechts, was dort nun herrschte, begann die Auseinandersetzung mit der Problematik des Ost-West-Gegensatzes. Sichtbares Zeichen war und ist dabei die Mitarbeit in der Aktion West-Ost – Arbeitsgemeinschaft für europäische Friedensfragen im BDKJ. Als Reisen in das Glatzer Land ab 1970 wieder möglich wurden, konnten auch, aufgrund der staatlichen Überwachung häufig jedoch verdeckt, Kontakte zu den jetzigen Bewohnern geknüpft werden. Soweit möglich wurden diese Kontakte zu einem regen Austausch genutzt. Auf dieser Basis konnten zu Beginn der 90er Jahre, nach Ende der kommunistischen Diktatur, erste offizielle Begegnungen zwischen deutschen und polnischen Jugendlichen stattfinden. Über eine der ersten Veranstaltungen dieser Art läßt sich folgendes berichten:
"Am Freitag, dem 17.07., konnte das Unternehmen 'Grafschaft-Tour 92' gestartet werden. Nach mehr oder weniger langen Unterbrechungen, hervorgerufen durch Stau und Grenzabfertigung, erreichten wir unseren Zielort Bielendorf/Bielice. Nach einer herzlichen Begrüßung durch unsere polnischen Gastgeber konnten wir bei einer echt polnischen Suppe erst einmal verlorene Kräfte wieder aufnehmen. Den Rest des Tages nutzten wir, um uns miteinander bekannt zu machen und die nähere Umgebung unseres Zielortes zu erkunden.
Am nächsten Morgen starteten wir zu einer Tageswanderung in die Umgebung. Trotz der für deutsche Verhältnisse unberührten Natur erinnerten uns zahlreiche vom Waldsterben gezeichnete Flächen daran, daß auch hier die Aktualität des Themas unserer Pfingsttagung 'Umweltschutz in Europa' sehr bedeutend ist. Am Ende des Tages feierte Pfarrer Stefan Witczak, der in der Umgebung von Bielendorf vier Orte zu betreuen hat, mit uns die Heilige Messe. Er erläuterte uns, daß dies die erste deutsch-polnische Messe in Bielendorf seit über 45 Jahren sei. Deutsche und polnische Lieder erklangen und spätestens beim Schlußlied hatte man bereits den Eindruck, daß hier nicht zwei, sondern nur eine Gruppe anwesend war. Die nächsten drei Tage standen ganz im Zeichen unserer geplanten Arbeitseinsätze. Pfarrer Witczak nahm unser Angebot, ihn bei seinen Projekten ein wenig zu unterstützen, gerne an. So halfen zwei Gruppen bei der Errichtung eines Lapidariums. Ein Lapidanum ist eine Ansammlung von (in diesem Falle deutschen) Grabsteinen, die nicht mehr an ihren ursprünglichen Standorten stehen. Weitere Gruppen arbeiteten in Neugersdorf/Nowy Gierałtów; wo ein Pfarr- und Begegnungszentrum für Jugendfreizeiten oder Bildungsseminare entstehen soll. Wiederum andere Gruppen befaßten sich damit, noch in den Kirchen vorhandene deutsche Noten zu sortieren und zu erfassen. Es war für uns alle ein ausgesprochenes Erlebnis, miteinander etwas zu schaffen, immer mit der Erkenntnis, daß beide Seiten einmal davon profitieren können.
Den Donnerstag nutzten wir zu einer Rundfahrt durch das Glatzer Land/Ziemia Kłodzka. Unser erster Zielort war Gläsendorf/Szklarnia. Hier feierten wir mit Großdechant Prälat Jung eine Heilige Messe, an der neben rund 50 ehemaligen Bewohnern nahezu die gesamte heutige Bevölkerung von Szklarnia teilnahm. Als Höhepunkt erteilte Neupriester Rolf Hannig, selbst Junger Grafschafter, dessen Vorfahren aus Gläsendorf stammen, allen Anwesenden den Primizsegen. Den Rest des Tages verbrachten wir mit Besichtigungen des Hauptortes des Glatzer Landes, Glatz/Kłodzko, und der 'Wilden Löcher', einer bizarren Felsformation. Nach Bielendorf zurückgekehrt, konnten wir mit unserer T-Shirt-Malaktion beginnen. Einzige Auflage für die Teilnehmer war die Aufschrift 'Grafschaft-Tour '92 Bielendorf/Bielice' auf jedem T-Shirt. Sonst waren der Kreativität keine Grenzen gesetzt, so daß beim folgenden, friedlichen Kampf um Farben und Pinsel so manches Kunstwerk entstand.
Der letzte Tag in Bielendorf stand zuerst ganz im Zeichen der Besteigung des Glatzer Schneebergs/Śnieżnik (1.425 m), des höchsten Berges der Gebirgsketten, die den Glatzer Kessel umschließen.
Am Abend beschäftigten wir uns zunächst mit der persönlichen Geschichte eingeladener Personen. Zwei Frauen, eine noch im Glatzer Land ansässige Deutsche und eine aus Ostpolen vertriebene Polin, schilderten uns einige Stationen ihres Lebens. Es wurde dabei deutlich, daß Deutsche wie Polen schwere Leiden ertragen mußten und daß sie beide Opfer der Politik von Hitler und Stalin geworden waren.
Unseren nun folgenden Abschlußabend verbrachten wir in fröhlicher Runde am Lagerfeuer mit mittlerweile allen vertrauten Liedern, wobei über die Geschehnisse der vergangen Tage rege reflektiert wurde.
Der Abschied am nächsten Morgen fiel uns allen sehr schwer, doch für uns steht fest, daß wir uns bald wiedersehen werden."
Dieser letzte Satz ist für uns Realität geworden, denn die Begegnungen mit unserer Partnergruppe, der Młodzi Ziemi Kłodzkiej, haben sich zu einem festen Bestandteil unserer Arbeit entwickelt. Zahlreiche persönliche Freundschaften sind entstanden, doch auch auf Verbandsebene haben sich Perspektiven ergeben, die eine kontinuierliche Zusammenarbeit ermöglichen.

 

Die Begegnungsarbeit der Jungen Grafichaft

Übersicht über die bisherigen deutsch-polnischen Jugendbegegnungen der Jungen Grafschaft

1990 in Bad Landeck/Lądek Zdrój
Bei dieser Begegnung war erstmals ein freier und öffentlicher Austausch zwischen deutschen und polnischen Jugendlichen möglich.
Ein Höhepunkt war dabei ein Gespräch mit dem stellvertretenden Bürgermeister von Bad Landeck/Lądek Zdrój.

17.-25.07.1992 in Bielendorf/Bielice
Diese Begegnung war für uns die erste Veranstaltung, die komplett von jugendlichen Teilnehmern vorbereitet und durchgeführt wurde und für alle Beteiligten einen absoluten Höhepunkt darstellte.

27.12.1992-01.01.1993 in Hardehausen
Bei diesem ersten gemeinsamen Seminar ging es um die Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes für Deutschland und um die Möglichkeit der Integration von Polen in die Europäische Union.

08.-13.04.1993 in Glatz/Kłodzko
Über die Ostertage waren wir von unserer Partnergruppe in Gastfamilien eingeladen, wo wir das Leben in einer polnischen Familie und die Feier des Osterfestes in Polen miterleben konnten.

25. 07.-04.08.1993 in Bielendorf/Bielice
In mehreren Gesprächsrunden mit dem Bürgermeister der Stadt Seitenberg/Stronie Śl. konnten wir uns mit der aktuellen ökonomischen und ökologischen Situation im Glatzer Land beschäftigen. Im Rahmen der Gedenkfeiern zum 300. Geburtstag des Bildhauers Michael Klahr (der Ältere) konnten wir zahlreiche seiner Kunstwerke bei einer Fahrt durch das Glatzer Land unter sachkundiger Führung besichtigen.

04.-11.08.1993 in Düsseldorf, Bonn und Münster
Direkt im Anschluß an unser Treffen im Glatzer Land reiste der größte Teil der polnischen Gruppe mit uns nach Deutschland, um eine Woche in deutschen Familien zu verbringen. Neben der Reflexion der vorangegangenen Tage in Bielendorf stand unter anderem auch ein Besuch des Deutschen Bundestages auf dem Programm.

27.12.1993-01.01.1994 in Hardehausen
Wie schon im Jahr zuvor konnte die Begegnungsarbeit mit einem gemeinsamen Seminar abgeschlossen werden. In Arbeitskreisen und Diskussionsrunden beschäftigten wir uns mit dem Thema "Jugend und Gesellschaft". Besonders hervorzuheben war dabei der Vortrag des Leiters der polnischen Partnergruppe über die Situation der Jugend in Polen.

23.-30.07.1994 in Bielendorf/Bielice
Wie schon in den Vorjahren standen bei dieser Veranstaltung gemeinsame Arbeitseinsätze im Mittelpunkt. Insbesondere die Mitarbeit beim Bau des Pfarr- und Begegnungszentrums in Neugersdorf/Nowy Gierałtów war für die Teilnehmer von besonderer Bedeutung.

27.12.1994-01.01.1995 in Hardehausen
"Armut in Deutschland und Polen" hieß das Thema dieses Seminars. Dabei wurden die unterschiedlichen Hintergründe von Armut und sozialem Abstieg in den beiden Ländern erarbeitet und verglichen.

15.-23.07.1995 in Schleiden/Eifel
Zum ersten Mal fand unsere jährliche große Sommerbegegnung in der Bundesrepublik statt. Durch die Vielzahl neuer Teilnehmer stand das gegenseitige Kennenlernen und die verstärkte Annäherung an die jeweils andere Sprache im Mittelpunkt. Die Städte Köln und Aachen wurden im Rahmen einer Stadtführung bzw. eines Stadtspiels als Methode der Stadterkundung besucht.

27.12.1996-01.01.1997 in Hardehausen
Über sieben Jahre nach Ende des Kommunismus in Polen wurde bei diesem Seminar unter dem Titel "Polen – unser unbekannter Nachbar" eine Bestandsaufnahme über die aktuelle Situation in unserem Nachbarland durchgeführt. Polnische Teilnehmer informierten in Referaten ausführlich über die Situation von Jugendlichen in ihrer Heimat. Die Rolle der katholischen Kirche war ebenso Thema wie die Entwicklung Polens zu einem Staat moderner marktwirtschaftlicher Prägung.

09.-16.08.1997 in Pirna bei Dresden
In Zusammenarbeit mit unserem Dachverband – der Aktion West-Ost im BDKJ – und seinen Mitgliedsverbänden wurde erstmals eine trinationale Jugendbegegnung mit deutschen, polnischen und tschechischen Teilnehmern durchgeführt. Ca. 100 Teilnehmer aus den drei Ländern beschäftigten sich in Kleingruppen mit religiösen, kulturellen, politischen und geschichtlichen Themen. Diese Begegnung war ein wichtiger Schritt hin zu einer Vernetzung der Kontakte der einzelnen Mitgliedsverbände und zu einem noch intensiveren Austausch der dabei gemachten Erfahrungen.

 

Deutsche und Polen – Entwicklung zum Dialog

Dokumente

Resumée von Bundessprecher Rudolf Klapper als Abschluß eines Vortrags über die Geschichte der Grafschaft Glatz beim Pfingsttreffen der Jungen Grafschaft 1954:

Erklärung der Aktion West-Ost im BDKJ (Dachverband der Jungen Grafschaft) zu deutsch-polnischer Begegnungsarbeit 1993

"Auf beiden Seiten gibt es noch viele Vorurteile, gleichfalls wissen viele deutsche und polnische Jugendliche zu wenig über die Kultur und Geschichte des anderen. Wir setzen uns deshalb auf unseren Tagungen besonders mit der deutsch-polnischen Geschichte und ihrer Kultur auseinander.
Für eine bessere Verständigung sind vor allem Jugendbegegnungen geeignet. Jugendliche werden mit Erfahrungen und Wissen anderer konfrontiert und erleben die Verschiedenartigkeit der Kulturen. Diese Auseinandersetzung bietet wichtige Lernerfahrungen, die ein gemeinsames politisches Handeln ermöglichen. Unsere Begegnungen sind deshalb nicht nur Treffen, wo Informationen ausgetauscht werden, sondern die Teilnehmer lernen durch gemeinsames Handeln eine Zusammenarbeit besonderer Qualität, in der vorhandene Handlungsmuster und Einstellungen hinterfragt werden. Die Vorbereitung und Durchführung einer Begegnung basiert auf der aktiven Mitgestaltung aller."

Rundbrief der katholischen Gruppen aus der Grafschaft Glatz
Bericht über die deutsch-polnische Jugendbegegnung vom 15.-23.07.1995 in Schleiden/Eifel

"Auch in diesem Jahr fand sie statt, unsere bald zur Institution gewordene deutsch-polnische Jugendbegegnung.
Das zahlreiche Erscheinen unserer polnischen Freunde war ein wesentlicher Garant für das Gelingen des Treffens.
In gemischten Teams rannte man mit Stift und Klebestreifen bewaffnet durch das gesamte Haus. An allen möglichen und unmöglichen Orten wurden diese befestigt und mit den deutschen und polnischen Bezeichnungen für den beklebten Gegenstand beschriftet. Dadurch, daß sie bis zum Schluß hängenblieben, prägten sich die Begriffe wesentlich besser und dauerhafter ein.
Zu den witzigsten Veranstaltungen gehörten zweifelsohne die Fußballspiele, denn man wußte eigentlich nie genau, wer gerade für welche Mannschaft auf welches Tor schoß.
Bei einem Tagesausflug an die Rur standen mehrere Kanus zur Verfügung, mit denen man eine abenteuerliche Fahrt wagen konnte. Auch Geschichte und Kultur wurde den Teilnehmern geboten, beides maßgeblich in der Stadt Köln. In rund zweieinhalb Stunden erfuhren wir zahlreiche Details der älteren und jüngeren Stadtgeschichte.
Die diesjährige Tour war von Anfang bis Ende ein durchschlagender Erfolg! Noch nie habe ich ein solches Gefühl von Zusammengehörigkeit empfunden wie in diesen wenigen Tagen. Es wurden viele Freundschaften geknüpft bzw. teilweise eingeschlafene aufgefrischt.
Obwohl einige von uns mit erheblichen Verständigungsschwierigkeiten zu kämpfen hatten, gab es dennoch keine unüberwindlichen Probleme. Der Erhalt einer außergewöhnlichen Freundschaft bringt zwar viel Arbeit mit sich, ist seinen Preis aber stets wert!"

(Aus dem Bericht von Michaela Niesen und Alexander Lück, beide Teilnehmer.)

 

Die Situation der deutschen Minderheit

Die Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland und den Siedlungsgebieten in Mittel- und Osteuropa traf die Grafschaft Glatz im Jahre 1946 und danach bis in das Jahr 1957 besonders hart. Nahezu die gesamte Bevölkerung wurde unter oft unvorstellbaren Voraussetzungen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben. Lediglich diejenigen, die für das öffentliche Leben unverzichtbare Aufgaben innehatten und Personen, die einen polnischen Partner hatten, blieben von diesem Schicksal verschont. Doch auch sie mußten in der ständigen Angst vor Schikane und Unrecht leben. Erst seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist es den verbliebenen Deutschen offiziell möglich, sich zu ihrem Volkstum zu bekennen und zu gemeinsamen Veranstaltungen zusammenzukommen. So wurde im Rahmen der Gründung der Deutschen Freundschaftskreise in Polen auch eine Vereinigung im Glatzer Land gegründet. Dieser Deutsche Freundschaftskreis bietet für seine Mitglieder zum einen die Möglichkeit, ihre ursprüngliche und ureigene Kultur wieder offen leben zu können, zum anderen, Hilfestellungen bei Problemen im Alltag zu geben.
Gleichzeitig erfüllt dieser Freundschaftskreis eine unverzichtbare Funktion als Bindeglied zwischen der heutigen polnischen und der ehemaligen deutschen Bevölkerung des Glatzer Berglandes. Neben der offensichtlichen Tatsache der sprachlichen Verständigung spielt dabei vor allem das Wissen über die Mentalität der Menschen beider Völker eine wesentliche Rolle. Die Kenntnis über Hoffnungen, Wünsche, aber auch Sorgen verleiht der Arbeit eines solchen Freundschaftskreises einen besonderen Wert.

 

 

© 1995-2003
Text by Junge Grafschaft
Layout by Dipl.-Ing. Christian Drescher, Wendeburg-Zweidorf, Kontakt: Feedback-Formular.
Erste Version vom 12.10.2003, letzte Aktualisierung am 12.10.2003.