Grafschaft Glatz > Aktuelle Nachrichten > Bruder des Grauen Mannes gefunden

Aktuelle Nachrichten aus der Grafschaft Glatz

 

Zwei Brüder: Der graue Mann. Der steinerne Wenzel.

 
Inhaltsverzeichnis:
1. Bruder des Grauen Mannes (Wächters der Ewigkeit) gefunden
2. Aktuelle Fotos
3. Auszüge aus der Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ 1914-1917
4. Der steinerne Mann von Hüttenguth. Ein Maiennachtsmärchen
5. Alte Landkarten
6. Aktuelle Standorte der Skuplturen

 

Einzigartige Entdeckung im Habelschwerdter Gebirge:
Bruder des Grauen Mannes (Wächters der Ewigkeit) gefunden

Das Habelschwerdter Gebirge gehört zu den Gebieten, in denen es vorkommt, dass man auf den Wanderwegen keine Menschenseele trifft. Hier gibt es Schneisen und Wege mit originellen Namen, nämlich Straße der Landstreicher (Droga Zbłąkanych Wędrowców), Pfad der Diebe (Śodziejska Ścieżka), Weg der Angst (Ścieżka Strachu) und Straße der Ewigkeit (Droga Wieczność).
Der Name der „Spätenwalder Ewigkeit“ (Droga Wieczność) kommt von ihrem 5 km langen und eintönigen Verlauf in nordwestlicher Richtung durch den Nesselgrunder Forst. Sie beginnt bei Nesselgrund (Pokrzywno) und endet an der Kolonie Hüttenguth (Huta), nördlich von Voigtsdorf (Wótowice).
Am Beginn steht eine einsame, majestätische Statue des „Grauen Mannes“, auch als „Steinerner Mann“ bekannt, der zerstört war und neu errichtet wurde, bekannt als Wächter der Ewigkeit.
Seit kurzem ist er nicht mehr der einzige Wächter dieser Berge, als der örtliche Förster am 22. Oktober 2022 bei Arbeiten in der Forstwirtschaft von Brand (Spalona Dolna) eine historische Entdeckung machte. Er wurde auf einen Stein aufmerksam, der am Wegesrand lag, vor allem auf seine unnatürlich behauene Basis.
Es stellte sich heraus, dass es sich bei der Steinfigur zweifellos um den Steinernen Wenzel handelte, den viele Historiker, Führer und Liebhaber des Habelschwerdter Gebirges schon seit Jahren suchen.

polnischer Artikel
Zum Vergößern hier klicken

Übersetzung des polnischen Artikels:

Eine einzigartige Entdeckung im Habelschwerdter Gebirge - der „Bruder“ des Wächters der Ewigkeit, der von einem Förster gefunden wurde.
Das Habelschwerdter Gebirge umfasst drei Waldgebiete: Habelschwerdt (Bystrzyca Kłodzka), Mittelwalde (Międzylesie) und Bäder (Zdroje). Hier erwartet den Wanderer ein Waldweg namens „Spätenwalder Ewigkeit“ (Droga Wieczności). Der Name kommt von seinem langen, geraden und eintönigen Verlauf. An einer Stelle steht eine einsame, majestätische Skulptur mit dem Namen Wächter der Ewigkeit (deutsch: Grauer Mann) auf dem Weg. Der Wächter hält seine Hände in einem Muff, auf dem ein Pfeil eingeschnitzt ist - ein Wegweiser und die Inschrift Nesselgrund (Pokrzywno), und auf der Spitze seines Hutes hat er .... ein geschnitztes Labyrinth.
Ab dem 22. Oktober 2022 ist der Wächter der Ewigkeit nicht mehr der einzige Hüter dieser Berge.... An diesem Tag machte der Förster Grzegorz Kmiecik bei Erdarbeiten in der Forstwirtschaft von Spalona Dolna eine historische Entdeckung. Seine Aufmerksamkeit wurde auf einen Stein gelenkt, der am Wegesrand lag, insbesondere auf seine unnatürlich behauene Basis.
Bei einer genaueren Untersuchung des Steins entdeckte er Buchstaben und Daten.... Es gibt mehrere Inschriften. Die am besten lesbaren sind drei: GP1717, GV1743 und CIH1772. Als der Stein angehoben wurde, kam eine steinerne Figur zum Vorschein, die wie von einem Mantel bedeckt war und ein Kreuz auf Brusthöhe trug. Es war klar, dass dies kein gewöhnlicher Stein war. Die Neugierde ließ die Förster weiter rätseln. Die Fotos des Steins wurden Marek Furmankiewicz, einem der Redakteure der Zeitschrift „Pielgrzymy“ übergeben, die früher vom Studentenkreis der Sudetenführer aus Breslau (Wrocław) herausgegeben wurde. Es stellte sich heraus, dass es sich bei der Steinfigur zweifellos um den Steinernen Wenzel handelte - den Steinernen Wenzel, nach dem viele Historiker, Führer und Liebhaber des Habelschwerdter Gebirges seit Jahren suchen.
Den Beweis, dass es sich um den Steinernen Wenzel handelt, liefert seine letzte bekannte Fotografie aus dem Jahr 1917 aus der Publikation „Die Grafschaft Glatz“, deren Autor M. Schößler aus Glatz (Kłodzko) ist. Die Bildunterschrift in der Kopfzeile des Fotos lautet: Zwei Brüder. Es war bekannt, dass diese Steinfigur an der Straße zum alten Steinbruch in Brand (Spalona), an den Hängen der Schlösselkoppe (Zamkowa Kopa), stand und dort gefunden wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um die Figur des heiligen Wenzel handelt - des Schutzpatrons von Böhmen und Mähren, worauf das auf der Brust eingravierte Kreuz und die Tatsache, dass der Kult dieses Heiligen bei den in der Grafschaft Glatz lebenden Böhmen stark verwurzelt war, hinweisen könnten. Das Kreuz könnte auch ein Symbol dafür sein, dass der Stein an der Stelle der lokalen Verwaltungsgrenzen stand.
Als bereits bekannt war, dass eine historische Entdeckung gemacht worden war, meldete die Forstaufsichtsbehörde diese Tatsache dem Niederschlesischen Landesdenkmalpfleger. Dieser teilte daraufhin mit, dass die Meldung nicht den gesetzlichen Anforderungen für die Anerkennung der fraglichen Statue als Denkmal entspreche. Der Denkmalpfleger räumte jedoch ein, dass die Statue aus historischen Gründen interessant sei, da er ein materielles Zeugnis für die Pflege von Legenden und Erzählungen im Zusammenhang mit der Geschichte des Glatzer Landes durch die örtliche Bevölkerung sei. Der nächste Schritt bestand darin, den Fund des Objekts beim Bezirksamt für Denkmalpflege zu melden. Die Starostie entschied, dass der Eigentümer der Statue das Forstamt Habelschwerdt (Bystrzyca Kłodzka) ist.
Der endgültige Verbleib des wahrscheinlich Hunderte von Jahren alten Steinobelisken ist noch offen. Der Ort, an dem er gefunden wurde, liegt abgelegen, weit weg von den Touristenpfaden. Im Halbelschwerdter Gebirge wurden wiederholt Diebstähle und Zerstörungen von Steinen mit Inschriften festgestellt. Es wurde vorgeschlagen, den Stein-Wenzel dauerhaft in der Nähe des Forsthauses von Brand (Spalona Dolna) am grünen Weg zu belassen, wo eine Informationstafel neben der Statue aufgestellt werden soll. Eine zweite Tafel mit einem Foto und Informationen darüber, wohin die Statue versetzt wurde, würde an der Fundstelle angebracht. Der Stein wäre viel sicherer, und eine Bank und ein Tisch in seiner Nähe würden die Menschen dazu einladen, sich zu entspannen und etwas über die Geschichte des zweiten Wächters des Habelschwerdter Gebirges zu erfahren, der nach mehr als einem Jahrhundert gefunden wurde.
Bis heute sind die Inschriften nicht entziffert worden. … Aber vielleicht gibt es ja jemanden, der in den Archiven auf einen Hinweis stößt und das Rätsel um den Bruder des Wächters der Ewigkeit löst. Andererseits, muss denn jedes Rätsel gelöst werden. … schmeckt eine Prise Magie und eine Handvoll Rätsel nicht besser?

Anna Kmiecik

aus: Facebook-Seite „Nadleśnictwo Zdroje, Lasy Państwowe“

 

Der graue Mann

Der graue Mann von Hüttenguth
Foto: Mateusz Misiewicz auf Facebook-Seite „Na Ziemi Kłodzkiej“, 2023

 

Der steinerne Wenzel Der steinerne Wenzel

Der steinerne Wenzel
Fotos: Nadleśnictwo Bystrzyca Kłodzka - Lasy Państwowe auf Facebook

 

Auszüge aus der Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ 1914-1917

mit Transkriptionen in moderne Schrift

Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 1/1914, S. 10
 
Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 1/1914, S. 11
 
Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 1/1914, S. 12
Der graue Mann aus der späten Ewigkeit.
Eine Skizze von O. Victor.
aus: Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 1/1914, S. 10-12

Der graue Mann aus der späten Ewigkeit.
Eine Skizze von O. Victor.

Ein Männlein steht im Walde ... So ganz allein ... Wohl an die hundert Jahre steht es schon so droben auf dem langgestreckten Kammzug der Habelschwerdter Berge, wo die Straße mit dem eigentümlichen Namen durch den Bergwald zieht. An die hundert Jahre wohl, denn genauer vermag es keiner mehr zu sagen, nur daß es lange ist, lange. Fast wundert's da, daß in diesen Blättern niemals noch von ihm die Rede war. Doch mag's auch spät sein, zu spät ist's sicher nicht für das, was wir aus dem langen Dasein des grauen Männleins aus der späten Ewigkeit erzählen wollen.
Ein altersgraues Männlein mutterseelenallein mitten im einsamen, düsteren Tannenwald. Besser läßt sich's nicht sagen und ausführlicher läßt sie sich nicht schildern, die geheimnisvolle Eigenart des waldigen Bergreviers, das, soweit von den Lebenden einer zurückdenken kann, des grauen Mannes Heimat ist. Ringsum stämmige Tannen, altehrwürdige Bäume, die der Ringe schon viele angesetzt und von denen schon manches dürre Zweiglein zu Boden fiel, harte Bergwaldkinder, denen schon mancher Sturm die stolze Krone beugte. Tannen, immer wieder Tannen, Stamm an Stamm, sonst nichts; weit, weit in der Runde, nichts als die schweigende Einsamkeit. Nur ein breiter Fahrweg, von tiefen Furchen durchschnitten, soweit das Auge schaut, schnurgrade wie mit einem Lineal gezogen, und endlos wie für den schleppenden Gang der Ewigkeit geschüttet. Dort hält er Haus, der Alte, mitten im Walde unter dem grünen Nadeldach, ganz allein. Wohl manchem schon stockte das Herz, wenn der graue Mann plötzlich wie ein böser Strauchdieb und Wegelagerer dem beschaulichen Wanderer durch das Dunkel des waldigen Dickichts entgegenschimmerte. Wer ihn erst kennt, der beflügelt fast unwillkürlich den Schritt, um recht bald und recht lange bei ihm zu Gast zu sein. Denn es ist ein Stilleben von eigenartigem Reiz. Auf einem viereckigen Sockel, inmitten einer seltsamen Landschaft ein seltsames Steingebild. Wenn es überhaupt noch Bergwaldmärlein gibt, dann ist hier eins zu Stein geworden. Wohl an zwei Meter mißt der eigentümliche Waldbewohner, vom hohen Scheitel bis zur breiten Sohle gemessen. Ein grauer Halbzylinder, wie er zu der Väter Zeiten bei den Biedermeiern im Tale beliebt und in Mode war, deckt des Alten bemoostes Haupt und auf das Hutband haben sie mit spitzem Meißel seinen altehrwürdigen Namen „Grauer Mann“ geschrieben. Er scheint auf großem Fuße zu leben, das alte graue Männlein unweit von Hüttengut, denn wer sich die Zeit nimmt und mißt mit flinkem Zollstock die Länge seiner großen steinernen Filzpantoffeln – „Potscha“ sagen die Bauern im Glatzer Land – der ist über die unerreichte Fußgröße von 54 Zentimetern nicht wenig erstaunt. Aber auch sonst scheint der Alte der Kälte gram zu sein. Bis an die Wurzeln hält er die knöcherigen Hände in dem wärmenden Muff versteckt, den er mit militärischer Strammheit vor der Brust zusammenhält. Man ist verwundert, daß der Alte gar so verfroren ist, wo doch sengende Sonnenglut rings über allen Tälern liegt und der Bergwald leise wie in heißem Brodem seufzt. Aber man versteht, da es lange, lange Winter bleibt, bevor hier oben der Sommer auf ein paar Wochen zu kurzer Herrschaft kommt. Ob Sommer oder Winter, ob Sonn-, ob Feiertag, immer steht es so, im gleichen Gewand, jahraus jahrein, ohne Ruhe, ohne Rast, wie ein Posten vor seinem Schilderhaus, das Männlein im Walde. So ganz allein. Denn nicht allzu viele Tage zählt eines Sommers kurze Spanne, da es auf den Pfaden rings um das Männlein im Walde lebendig wird. Der breite Fremdenstrom sucht anderwärts Weg und Steg. Nur die Männer, die im Walde heimisch sind, der flotte Jäger, der das flinke Wild belauscht, und der harte Holzschläger, der mit scharfer Axt die Bäume zeichnet, finden sich öfter herauf, auf mühsamer Berg- oder Talfahrt, dem Alten hier oben einen guten Tag zu wünschen, von Touristen nur des Waldes und der Berge intimste Freunde, die Empfindsamen, die dem Herzschlag des Bergwaldes noch allezeit dort am liebsten lauschen, wie sie am meisten allein und einsam sind. Und noch einer ist des Alten Freund, der dreiste Fink, der ganz nahe sein Nestlein gebaut und dem grauen Männlein so manches süße Geheimnis ins Ohr geflüstert, wenn er schelmisch geflogen kam, an des Alten grauer Wange sein keckes Schnäblein zu wetzen. Wahrlich, ein Stück Heimatpoesie mitten im weltverlorenen Tannenwald, das sich zu hegen und zu pflegen wohl verlohnen mag. Eine gute Stunde ist es aber auch gewesen an dem Tage, die dem Alten bestimmt war, für uns Modell zu stehen. Einem Freunde unserer Berge, Herrn Regierungsreferendar Mundt, haben wir's zu danken, daß er den steinernen Mann von Hüttengut so wohlgelungen auf eine seiner trefflichen Platten bannte. Wie droben auf Bergeshöh, vom geheimnisvollen Flüstern der späten Ewigkeit umraunt, so soll der Alte fortan im Bilde auch auf diesen Blättern stehen. Mitten im Walde. So ganz allein.

Der graue Mann von Hüttengut. phot. Reg.-Refdr. Mundt in Glatz.
Der graue Mann von Hüttengut.
phot. Reg.-Refdr. Mundt in Glatz.

Doch längst ist Neugier lebendig und die Frage drängt sich auf: Sag', wer mag das Männlein sein, das da steht im Walde, so ganz allein? Du magst ihm forschend auf die gutmütigen Augen und fragend auf die reglosen Lippen schauen, der Alte ist und bleibt zum Schweigen verdammt. Nur auf dem steinernen Muff ein schlichtes Wort sagt dir, daß der sonderbare Mann als getreuer Wegewart hier seines Amtes waltet, bestimmt, dem einsamen Wanderer den Weg zu weisen: „Nach Nesselgrund.“ Nicht schwer kann's danach zu sagen sein, was es mit dem grauen Manne von Hüttengut für eine Bewandtnis hat. Ein rauher Felsblock lag wohl einst im Walde droben, ein Findling jener Zeit, da die junge Erde noch in Sturm und Drang unter gewaltigen Revolutionen zitterte. Er lag lange, lange. Und rastlos nagte der Zahn der Zeit an seinem Fleische, aber er blieb, während alles sonst ringsum verwitterte. Es kam die Zeit, da sie hoch oben auf dieser bergigen Höhe den Kammweg von Spätenwalde nach Nesselgrund zu einer fahrbaren Straße ausbauten, mitten zwischen den düsteren Tannen des rauschenden Bergwaldes, sechs Kilometer lang in eintöniger, schnurgrader Richtung, fast ohne Aussicht nach links und nach rechts, für viele so langweilig, daß allenthalben im Lande, selbst auf den Karten und Meßtischblättern, seit Jahr und Tag für diese Straße der Name „Spätenwalder Ewigkeit“, oder kürzer „Späte Ewigkeit“, sich heimisch gemacht. Eine Ewigkeit gibt es bekanntlich nicht hienieden, wenn es aber eine gäbe, müßte hier oben ein Stück von ihr zu suchen sein. Sie bauten also den Ewigkeitsweg und fanden den grauen Findling mitten im dunklen Tannenforst. Kühne Phantasie war noch immer im Bergwald mehr lebendig als anderswo. Sie spielte auch hier ihr neckisches Spiel und ließ an dem verlorenen Felsblock die schwachen Umrisse einer menschlichen Figur erkennen. Was lag da näher, als daß sie den steinernen Mann an den Saum des Weges mitten hinein in die Eintönigkeit der späten Ewigkeit rückten, nachdem sie mit Stichel und Hammer die verschwommenen Umrisse deutlicher und leichter erkennbar gemacht? Und fortan stand das Männlein im Walde. So ganz allein. Es stand lange, lange und ward bekannt weithin im ganzen Glatzer Land, das altersgraue Männlein von Hüttengut, und ward beliebt bei allen, reich und arm, jung und alt und schien wie für eine Ewigkeit dort hinauf an den langen, einsamen Weg gestellt.
Da kam ein Tag, schlimmer als die Wettertage alle, die das graue Männlein auf seinem hohen Stand dort oben schon miterlebt, wenn die Blitze zuckten und der Donner grollte. Harte Menschen zogen da herauf in die Stille des einsamen Waldgebiets, Menschen ohne Sinn für Natur, ohne Heimatliebe, ohne Herz, rohe Buben, denen die Lust am Demolieren aus den kecken Augen schaute. Das alte Männlein hatte ihnen nichts getan, wie es in seinem ganzen Dasein noch niemals jemandem weh getan und doch stand es ihnen im Wege und doch trugen sie das rohe Faustrecht der Landstraße mitten hinein in diese schlichte, reizvolle Waldpoesie. Und befleckten ihre Hände mit schlimmer Freveltat. Und hieben ein mit Stein und Eisen auf den Alten, daß es ihm zitternd durch Mark und Glieder fuhr und jeder Hammerstreich wie ein Wehschrei gellend durch den stillen Bergwald hallte. Und ließen keine Ruhe, bis Stück auf Stück von der seltsamen Steinfigur zerschmettert am Boden lag. An jenem Tage brach er zusammen mit wundem Leib, vom Herzweh übermannt, der Alte im Walde, der noch keinem etwas zu Leide getan. In Stücken ließen ihn die Buben liegen und weiterziehend rühmten sie sich noch ihrer Heldentat.
Zwanzig Jahre gingen ins Land. Schon mancher mochte vorübergegangen sein, blutenden Herzens an der trostlosen Trümmerstätte, bis eines Tages einer kam, der das Herz auf dem rechten Fleck und in diesem Herzen die echte, rechte Liebe zu seiner heimatlichen Scholle trug. Es war ein Mann aus dem Volke, sie rühmen noch heute seinen Namen. Ein Oberholzschläger aus Voigtsdorf, Amand Geisler geheißen. Der ward von Mitleid gerührt. Er kannte den Wundarzt, der dem steinernen Alten helfen konnte, drüben im Nachbardorfe Hammer, den Steinmetzmeister. Den führte er hinauf und sprach zu ihm das barmherzige Samariterwort: „Trage Sorge für den Alten, der todwund hier am Rande des Weges liegt, und was Du für ihn aufwendest, will ich Dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.“ Und es ging der Steinmetzmeister mit seinen Gesellen und mühsam lasen sie zusammen die Stücke und Stücklein aus dem feuchten Rasengrund und setzten mit Kelle und Mörtel dem Alten wieder die zerschmetterten Glieder zurecht. Das muß ums Jahr 1872 gewesen sein. Und die Kunde davon drang weithin ins Land. Und siehe, als kurz darauf ein festfroher Sonntag kam, zogen sie herauf aus den Tälern und Dörfern, die Biedersten unter den Biederen, hinauf zur Spätenwalder Ewigkeit, und im grünen Bergwald beim wiedererstandenen grauen Männlein von Hüttengut ward ein Glatzer Heimatfest gefeiert, von dem sie heute noch erzählen, wenn in den Hütten im Tal das dürre Winterholz traulich im wärmenden Ofen knistert und droben im Bergwald des Winters Schnee dem Alten von Hüttengut längst schon weit über seine mächtigen Potschen reicht. Und den Jungen, die mit leuchtenden Augen an den Lippen der Alten hängen, versprechen dann Vater und Mutter zuweilen, sie an einem schönen Sonntag dort hinauf zu führen, wenn der Schnee geschmolzen und die goldene Sommersonne wieder über satten Fluren lacht.
Nur das graue Männlein im Walde kennt weder Sommer noch Winterszeit. So viele Menschen auch schon an ihm vorüberzogen, es ist allein und einsam geblieben und unbekümmert um allen Wechsel der Zeiten hält es treue Wacht mitten im rauschenden Tannenwald. Wenn aber die flügelschnellen Wolken schwerer als sonst über die ragenden Berge kommen, wenn die grauen Nebel sachte, sachte von Stamm zu Stamm ihre weißen Schleier weben und leise, leise, Flocke auf Flocke winterlicher Schnee dem Alten sich auf die buschigen Wimpern senkt, schließt er die schweren Augenlider, um zu träumen. Es ist ein alter schwerer Traum, und der Wind, der die Tannen im Bergforst auf und nieder beugt, singt ein eigenartig Lied dazu. Er singt eine wehmutsvolle Weise, die jeder wohl kennen mag, dem ein rauhes Schicksal das Liebste nahm und der nun einsam und verlassen an dem langen Wege steht, der hinaufführt zur späten Ewigkeit ...
 
Hier steh' ich still und einsam,
Die Arme fest verschränkt,
Umtost von rauhen Stürmen,
Das stolze Haupt gesenkt.
Ob Sonnenschein, ob Regen
An mir vorüberzieht,
Ich hebe kaum die Augen,
Und sing' ein altes Lied. –
Ich sing's aus tiefstem Herzen,
Was vor mir mancher sang,
Nach schwermutsvoller Weise,
Die schon vor Zeiten klang.
Das Herz dabei verblutet,
Es zuckt dabei die Hand.
Vom Lieben und vom Lassen
So wird das Lied genannt ...
 
Träume nur zu, graues Männlein von Hüttengut, ganz allein in deinem einsamen Tannenwald! Es müssen ihn viele träumen, den Traum, der auch dir zuweilen das Herz beschwert. Es singen viele die Weise, die der Sturmwind dir in die Ohren raunt. Wir wollen uns mehr davon erzählen, sollten wir uns wiedersehn, wenn der Sommer ins Land gekommen und der lustige Fink in deiner Nähe wieder sein verschwiegenes Nestlein baut.

 

Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 3/1914, S. 40
Die späte Ewigkeit.
phot. M. Schößler (Glatz).

aus: Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 3/1914, S. 40

 

Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 3/1914, S. 46
aus: Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 3/1914, S. 46

Hüttengut. (Grauer Mann) Zu dem Aufsatze „Der graue Mann aus der späten Ewigkeit“ in der vorletzten Nummer ging uns aus Düsseldorf von Frl. Maria Hannig (Rosenstraße 46) folgende Ergänzung zu: „Der steinerne Mann ist anfangs der 70er Jahre – das Jahr ist am Sockel angegeben – im Auftrage des damaligen Kgl. Oberförsters Lignitz von meinem Vater August Hannig, der bei Lebzeiten Steinmetzmeister in Pohldorf war und am 24. Mai 1892 zu Neulomnitz verstorben ist, ausgebessert worden. Außer einigen Ergänzungen ist der Sockel mit dem unteren Teile neu gemacht. Daraus erklärt sich auch die besondere Größe der „Potschen“. Bestimmtes über die Herkunft des Steinbildes wußten auch damals die alten Leute nicht.“ Anschließend sei bemerkt, daß die interessante Steinfigur im Forstschutzbezirke Buchberg des Nesselgrunder Revieres steht, und daß sich um ihre erste Aufstellung besonders der frühere Oberförster Dinter bemüht haben soll. Uebrigens muß unseres Erachtens an dem durch die Inschrift überlieferten Namen „Grauer Mann“ als dem richtigeren festgehalten werden, trotzdem auf den meisten Karten „Steinerner Mann“ zu lesen steht. Jedenfalls wird der freundliche Leser in dem Bilde auf Seite 40 den ehrwürdigen Alten mit Leichtigkeit wiedererkennen, ebenso wie die reizvolle Poesie der „späten Ewigkeit“ auch ohne Worte aus dem stimmungsvollen Genrebildchen von M. Schößler spricht.

 

Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 2/1915, S. 30
aus: Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 2/1915, S. 30

Eingesandt.
Bei einer Wanderung durch die schönen Berge der Grafschaft fanden kürzlich einige Herren vom Glatzer Laufklub, daß das in letzter Zeit mehrfach besprochene und beschriebene Naturdenkmal
„Der steinerne Mann von Hüttengut“
an der Spätenwalder Ewigkeit umgestürzt war. Rumpf und Kopf lagen auf der Erde. Da beide Teile durch kräftige Eisenanker mit dem Fußstück verbunden waren, scheint rohe Gewalt sich an dem Wahrzeichen vergriffen zu haben. Wir wollen hoffen, daß die erforderlichen Wiederherstellungsarbeiten recht bald in Angriff genommen werden.          Ko.

 

Der graue Mann von Hüttenguth.
Der graue Mann von Hüttenguth.
aus: Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 3-4/1917, S. 34

Der graue Mann von Hüttenguth.

Der graue Mann von Hüttenguth ist durch diese Blätter (1914 S. 10 u. 46; 1915. S. 30) bekannt und populär, späterhin von Dr. P. Reinelt in einem seiner sinnigen Heimatmärchen im „Guda Obend“ (1915 S. 45) noch besonders gefeiert worden. Als interessante Ergänzung zu dem früher Gesagten mag heute nachgetragen werden, was uns der leider viel zu früh verewigte Lehrer Erich Leister aus Habelschwerdt – er starb am 20. Oktober l. J. [letzten Jahres, also 1916] den Tod fürs Vaterland – noch kurz vor seinem Tode über die Geschichte dieser seltsamen Steinfigur mitgeteilt hatte: „Es war an einem schönen Sommertage. Lustig griff ich nach meinem Wanderstabe, um von freier Bergeshöhe hinabzusteigen ins schöne Hammertal. „Welches ist denn der nächste Weg nach Hammer?“ fragte ich einen Mann, der am Wege Holz schälte. „Do gihn se ok übern stona Wenzan. Dat werds noch am nohusta sen!“ Er zeigte mir den Weg und beschrieb, wie ich dann weiter zu gehen hätte. Dankend nahm ich von dem biederen Manne Abschied und zog singend dahin meine Straße. Es war ein herrlicher Waldweg. Mir war fröhlich zu Mute, wie den Vögeln in den Zweigen. Nach kurzer Wanderung bog links ein Fußsteg ab. Hier also ging's zum „stona Wenzan“. Und richtig, da stand er ja schon. Dichtes Baumwerk verdeckte ihn den Blicken profaner Menschen. Nur durch die Lücken der Zweige ward sein ungeschlachtet Antlitz sichtbar. So löblich ich auch die vornehme Zurückgezogenheit des alten Herrn fand, so hinderte sie mich doch so wenig wie das dichte Gebüsch, dem ehrwürdigen Heiligen einen Besuch abzustatten. Jugendfrisch überwand ich die Hindernisse und stand nun vor ihm. Ein roh behauener Stein von zwei Meter Höhe bot sich dem Anblick dar. Die Spuren des Meißels sind an ihm überall noch sichtbar. Auch der Fuß des Standbildes zeigt deutlich, daß dieser Stein ein Gebilde der Menschenhand, nicht der Natur sei. Von Figürlichem ist an dem Steinkolosse wenig zu bemerken. Nur das Gesicht und die rechte Seite sind einigermaßen herausgearbeitet. Das Gesicht ist aber auch nur in den gröbsten Umrissen angedeutet. Ursprünglich mag es deutlicher gewesen sei. Witterung und Bubenhände – letztere vor allem – haben es verschandelt. Weder zur Zierde noch zum Nutzen ist auch gewesen, daß man das Antlitz des Steines mit Kalk bestrichen hat. Auf der Brust trägt der Heilige neben einem unleserlichen Zeichen ein Kreuz. Die rechte Seite läßt erkennen, daß man den Heiligen mit einem Hirtenstabe in der Hand darstellen wollte. So steht er, wieder wie weiland, wachet und wacht; aber nicht wie bestimmt, über die Scharen weidender Rinder, sondern über die Wege der Menschenkinder. Zahlreich wie diese, sind die Jahre an dem komischen Heiligen vorübergegangen. Was wunder, wenn er müde sich zurücklehnt, dem Falle nahe. Schon einmal hatte ihn die große Sehnsucht übermannt, auszuruhen an der Brust der Mutter Erde. Doch die unruhigen Menschen ließen ihn nicht schlafen. Sie kamen mit Hebebäumen und stellten ihn wieder auf seine müden Beine. Schweigend und stumm steht er nun, bis die Schnsucht nach Ruhe ihn wieder übermannen wird. Und doch, so stumm er auch ist, sein Alter sagt er uns gerne. Auf seinem Rücken sind allerlei Zeichen und Zahlen zu sehen, alle stark verwaschen und schwer leserlich. Soweit ich sie entziffern konnte, lauten sie: C P 1717 - CV 1743 - C HH 1792 (oder C HB 1792). Das erste Zeichen mit seiner Zahl ist zweimal vorhanden. Was die Buchstaben bedeuten, ist nicht nachweisbar, möglich, daß es die Namenszeichen ehemaliger städtischer Förster sind. Daß der Stein um die Zeit der letztgenannten Jahreszahl wirklich schon stand, erhellt aus einer Bemerkung in der Chronik des Försters Bobisch, der da schreibt, daß er im Jahre 1795 „auf des Försters Grolms seinem Revier beim steinernen Wenzel 273½ Kloftern Holz übernommen habe“. Lange und eindringlich betrachtete ich den sonderbaren Gesellen, der trotz seiner Unbeholfenheit doch einen eigentümlichen Eindruck in dem Beschauer hervorruft. Zwei Gedanken drängten sich bei seinem Anblick mir auf: Welches war deine Bestimmung, Stein, und wie kamst du hierher? Mit diesen Gedanken beschäftigt, nahm ich Abschied von dem steinernen Alten. Allerlei Bilder aus vergangenen Zeiten schwebten mir vor. Ehrbare Stadthäupter mit gepuderten Perücken sah ich und fluchende Fuhrleute, denen in dem schlechten Wege der Wagen umgeschlagen und der Steinkoloß den Hang hinabgerollt war. Und wieder sah ich schlichte Holzhauer, die den plumpen Gesellen aufrichteten als Wegzeichen dem Wanderer. Später habe ich mich eingehend nach der Bestimmung dieses Standbildes erkundigt und endlich das in Erfahrung bringen können, daß dieses Standbild wirklich für die Stadt Habelschwerdt bestimmt war. Man hatte es an der Viehweide aufstellen wollen. Mit noch einem anderen Standbilde sollte es neben einem Kreuze, das in der Nähe des heutigen Gasthauses zu den „Drei Rosen“ stand, Platz finden. Diese Erklärung ist meines Erachtens nach die richtige; denn sie rechtfertigt den Namen des Standbildes.“ Vielleicht regen diese Zeilen den einen oder den anderen Heimatfreund zu weiteren Nachforschungen an. Die Schriftleitung würde jede ergänzende Nachricht dankbar begrüßen. Vor allen Dingen aber vermeinen wir, sei es hoch an der Zeit, das eigenartige Denkmal, dem von rohen Bubenhänden unlängst abermals so übel mitgespielt wurde, so gut es geht, wieder herzustellen, bevor es der gänzlichen Vernichtung anheimgefallen ist.          O. W.

 

Der graue Mann. - Der steinerne Wenzel.
Der graue Mann. - Der steinerne Wenzel.
Von Max Schößler (Glatz).
aus: Zeitschrift „Die Grafschaft Glatz“ Nr. 5-6/1917, S. 45

Der graue Mann. —— Der steinerne Wenzel.
Von Max Schößler (Glatz).

Zwei verschiedene Namen, aber auch zwei verschiedene Gestalten. Der graue Mann und der steinerne Wenzel sind Brüder. Der eine steht bei Hüttenguth am Beginn der Spätenwalder Ewigkeit, der andere im Walde zwischen Hammer und Brand, unweit des sogen. Donnerloches, in der Nähe des Steinbruchs am Schlösselberge. Aus der Beschreibung des steinernen Wenzels in der lezten Nummer dieser Zeitschrift wurde mir sofort klar, daß dieser mit dem grauen Mann nicht identisch sein könne. Der graue Mann ist verhältnismäßig gut ausgearbeitet. Seine Gesichtszüge treten scharf hervor. Auf dem Kopf trägt er einen hohen Zylinder mit der Inschrift „grauer Mann“. Deutlich erkennt man als Bekleidung eine Art Jacke. Die Hände birgt er in einem Muff, in den das Wort „Nesselgrund“ und ein Richtungspfeil eingegraben sind. Die Füße stecken in mächtigen Potschen. Nur der Rücken ist roher bearbeitet. Es bestehen also grundlegende Unterschiede zwischen dem Hüttenguther Steine und dem von Lehrer Erich Leister beschriebenen „stona Wenzan“. Ich entschloß mich daher, der Sache auf den Grund zu gehen, und unternahm eines schönen Tages von Neubrunn aus über Hüttenguth, Voigtsdorf eine kleine Forschungsreise ins Hammertal. Selbst in Hammer noch verwies man mich bei der Frage nach dem steinernen Wenzel auf den grauen Mann in der Ewigkeit, Schon begannen mich Zweifel zu beschleichen, als ich endlich in der Nähe der Hammerförsterei von Hütejungen eine in meinem Sinne günstige Antwort erhielt. Ich solle nur nach Brand gehen, da könne ich leicht weitere Auskunft erhalten. In den Bergen zwischen Hammer und Brand traf ich auf einen Holzfäller, der mir den kürzesten Weg nach dem steinernen Wenzel beschreiben konnte. Wenig tröstlich war es, daß er noch hinzufügte: „Se wan a ju doch nee finda“, wohl in dem Glauben, daß der roh bearbeitete Stein meinen Augen entgehen würde. Nachdem ich eine knappe halbe Stunde, stets den nicht mißzuverstehenden Weisungen des Waldarbeiters folgend, bergan gestiegen war, stand ich plötzlich vor einem etwa 2 m hohen Stein, den ich sogleich als den auf Seite 34 geschilderten steinernen Wenzel erkannte. Gliedmaßen und Körperlinie sind nur sehr flüchtig angedeutet. Das erwähnte Kreuzchen ist nur etwa 4 cm hoch und mit dem Meißel in Stein eingegraben worden. Die Steinfigur steht unmittelbar am Rande eines 1½ - 2 m breiten Waldweges und ist im übrigen von etwa 15jährigem Fichtendickicht umgeben. Die anderen Angaben fand ich bestätigt. Auf dem Rückwege begegnete ich einer Beerensammlerin, mit der ich einige Zeit über den seltsamen Gesellen plauderte. Im Laufe der Unterhaltung äußerte sie folgendes, im Volke verbreitete Wortspiel: „Wenn ma a stäna Wenzan freht, woas machst'n, do säht a – nischt. No ju, 's ies doch a su.“ (Er sagt, er mache nichts, bezw. er sage nichts.) Der weitere Abstieg zum Hammer nahm eine reichliche Viertelstunde in Anspruch. So viel vom steinernen Wenzel. – Auch von unserem alten Bekannten, dem grauen Mann, manchmal von der Bevölkerung (wohl infolge desselben Irrtums) steinerner Wenzel genannt, gibt es Neues zu berichten. Förster Dinter auf Hüttenguth hat sich des armen, mißhandelten Wichtes angenommen und ihm zu neuem Dasein verholfen. Auf seine Anordnung hin ist der Stein, etwa 40-50 m von seinem alten Standorte entfernt, wieder aufgerichtet worden. Er steht nunmehr auf einem sauber angelegten Steinsockel, der ihm genügenden Halt verleiht und der von einem Steinmetzmeister aus Stubengrund, dessen Namen mir entfallen ist, und der inzwischen der Sommeoffensive [Schlacht an der Somme vom 1. Juli bis 18. November 1916] zum Opfer fiel, bereits voriges Jahr hergestellt worden. Die übrigen Herstellungsarbeiten wurden im Juni dieses Jahres ausgeführt. Die Ausgaben, welche sich die Forstwerwaltung machte, waren ganz beträchtliche, da infolge des großen Gewichtes der Figur (schäßungsweise 60 Zentner) die Anbringung eines besonderen Gerüstes erforderlich war. Der Stein war in drei Teile zerfallen: Kopf, Rumpf mit Oberschenkeln und Füße. Mit großer Mühe wurden die Bruchstücke wieder übereinander gesetzt und die Figur wieder ihrem Berufe zurükgegeben. „Se hoan a neu ufstaffiert“, wie mir ein Hüttenguther unterwegs mitteilte, „a kuckt a nemme ei de Kehne (entgegen), sondern a stiht derr Quare“. In der Tat hat er eine Vierteldrehung nach rechts gemacht und ist vielfach ergänzt worden. Ob zu seinem Vorteil, mag dahingestellt bleiben. So ist eine ungewöhnlich lange Nase (a orntliches Heft) an die Stelle des Nasenstumpfes getreten, dessen er sich früher erfreute. Ihn bedeckt jetzt eine gleichmäßige Zementfarbe. Die Aufschriften „grauer Mann“ und „Nesselgrund“, sowie die Jahreszahl „1872“, welche unterhalb des Muffes eingemeißelt ist, treten jetzt überscharf hervor und wirken sehr hart, da man die Schriftzeichen mit schwarzer Farbe ausgezogen und den Untergrund in Schildform aufgeweißt hat. Ebenso wirkt es geradezu häßlich, daß man die Pupillen der Augen durch schwarze Farbkleckse anzudeuten versuchte. Da der graue Mann jetzt an einer Wegeabzweigung steht, ist er seiner ursprünglichen Bestimmung wiedergegeben worden. Im Halbkreise umschließen ihn junge, frischangepflanzte Nadelbäume. Eine in der Nähe angebrachte Tafel bezeichnet ihn als Naturdenkmal und empfiehlt ihn dem Schutze der Vorübergehenden. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß diese Mahnung berechtigt ist. Möchte die Zukunft beweisen, daß man auch im Glatzer Lande für die Poesie der Heimat noch Verständnis hat!

Zwei Brüder. Der graue Mann. Der steinerne Wenzel.
Zwei Brüder.
Der graue Mann. Der steinerne Wenzel.
Phot. M. Schößler (Glatz).

 


 

Grauer Mann a. d. Spätenwalder Ewigkeit
Grauer Mann a. d. Spätenwalder Ewigkeit
Ansichtskarte aus dem MARX-Verlag, Nr. 988, um 1930

 


 

Auszug aus dem „Guda Obend!“-Kalender 1915

mit Transkription in moderne Schrift

Der steinerne Mann von Hüttenguth.
 
Der steinerne Mann von Hüttenguth.
Der steinerne Mann von Hüttenguth.
aus: „Guda Obend! Glatzer Volkskalender für das Jahr 1915“ S. 45-46
Reprint: Grafschaft-Glatzer-Mosaik-Verlag (GGMV)

Der steinerne Mann von Hüttenguth.
Ein Maiennachtsmärchen von Paul Reinelt.

Horch! Es weht im Tann, und die Föhre knarrt ihr eintönig Abendlied.
Königin Sonne ist hinter den waldbestandenen Bergen schlafen gegangen und hat alle ihre Dienerinnen, die Sternlein, entlassen. Die aber schauen jetzt lustig auf die Erde herunter und erzählen dem guten Mond die Neuigkeiten, die sie während ihrer Wanderung um die Erde erschauten und erlauschten.
Drunten schreitet leise der Wind über die Felder und Wälder. Wo er ein Bächlein trifft, schöpft er rasch noch einen kühlen Trunk für die Nacht, und wo er über Teiche und Flüsse schreitet, kräuselt er spielend die Oberfläche wie Lockenhaar. Dann steigt ein feiner Brodem aus den Wassern, und die Blätter des Klees und der Gräser, der Bäume und des Getreides spreizen sich, um des Lebensäthers köstliche Fülle mit allen Poren zu trinken.
Die Blumen haben ihre Kelche geschlossen. Sie dürsten nur nach Licht und Schönheit, die Nacht aber ist feucht und schwarz.
Heute ist die erste Maiennaht, und warm vollzieht sich in der Natur ein Mirakel. Für wenige Stunden stehen die Geister auf, Bäume werden lebendig, und die Berge und Quellen geben ihre Gefangenen frei. Leicht wie ein Irrlicht springen die Nymphen aus Weiher und Teich, das Haar durchflochhten mit leuchtender Iris, und goldgelbe Primeln im Gürtel.
Sieh doch hier diese Birken! Ihr gertensclanker Leib dehnt sich im weißen Kleide; jezt werden ihre hängenden Zweige zu wehendem Haar, das frisches Weinlaub ziert. Ihre Wurzeln lösen sich von der Erde, und frei wie die Jugend springen sie den Gefährtinnen zu.
Au die alte Weide im zerschlissenen Kleide wird wieder jung, aber sie bleibt unter allen kenntlich an ihren goldgelben Flechten. Die Obstbäume recken sich in ihrem schneeigen Blütenkleide; Anmut und Würde ist in all ihren Bewegungen.
Nur die Erle und Föhre, die alten Eichen und wetterharten Buchen finden nicht mehr die Kraft der Verwandlung, aber ihr Saft wird zu Blut und ihr Mark zur Werkstätte der Gedanken. Sie sind an ihrem Platze fest gewurzelt, aber ein Gefühl der Freude durchrieselt sie bei dem Anblick der behenden Jugend. Mit den Zweigen und Wipfeln rauschen sie Beifall, und sie beugen sich willig, wenn das Geisterheer über sie hinwegbraust.
Zuletzt steigen aus der Erde Schoß Gestalten, viele tausend Jahre alt, und huschen durch das Mondlicht. Leicht wie die Falter und schnell wie die Gedanken durcheilen sie die Gefilde. Unter ihnen ist nicht Herrscher, nicht Knecht, nicht alt, nicht jung, nicht gut, nicht böse. Die Schönheit ist ihr Reichtum, und der Frohsinn geht mit dem Pulsschlag ihres Herzens durch ihre feinen, durchsichtigen Leiber.
Haben sie wahres Blut? Haben sie Gedanken und Wünsche wie die Menschen? Wer weiß es! Der nächtliche Tanz in der ersten Maiennacht ist ihre ganze Wonne, und der Tau ist ihnen ein süßer Trank der Freude. Sie wiegen sich im Wechselreigen auf grüner Saat, und die zarten Hälmchen beugen sich nur wenig unter der ungewohnten Last. Leise zittert das Mondlicht über dem Geisterheer. Melodisch rauschen die nahen Wälder. Es murmelt der Bach, es wehet der Tann, und die alten Föhren singen das gewohnte Lied von Jugend und Schönheit, von raschem Sterben und vom Undank der Menschen. Aber jene, die es angeht, wiegen sich im Reigen, und sieh, welch lieblich Werben und Haschen, Verstecken und Finden!
Wie von ungefähr kommt durch die Nacht ein junger Bursche des Weges. Sein Herz ist weit, und sein Auge leuchtet in jenem milden Glanze, den nur die Liebe geben kann. Ein einziges Wort hat ihn heute abend glücklich gemacht über alle Maßen, ein kurzes, süßes Wort, die Antwort auf langes Werben, ein Wort, gesprochen und besiegelt von roten Lippen, ein Wort, das er für alle Schätze der ganzen Welt nicht hingeben würde. Sein Mädchen hat ihm das Jawort ihrer Liebe gegeben, und ihr Bild grub sich ihm so tief in das Herz, daß er es jetzt überall zu sehen glaubt. Schaut er zum Himmel hinauf, so lächelt es ihm aus den Sternen herab; geht er an Strauchwerk vorüber, das sich im Winde bewegt, so denkt er daran, wie sie ihm jo gern entwischte, um sich doch von ihm fangen zu lassen. Und wenn das junge Laub eines über den Weg hängenden Astes seine Wangen streift, glaubt er ihre weiche Hand zu fühlen.
Glücklicher Träumer!
Am Waldsaume wecken seine Schritte das Echo.
Da unterbricht das Geisterheer den Tanz, und die meisten weichen bei dem ungewohnten Anblicke eines Menschen scheu zurück. Nur eine Nixe springt im Übermut auf den nächtlichen Wanderer zu, grüßt ihn und küßt ihn und raunt ihm zu: „Nimm mich mit!“
Des Burschen Augen aber sind wie gehalten. Er hört die Stimme, und er fühlt den Kuß, wie wenn ihn ein taufeuchter Zweig in das Gesicht getroffen hätte. Ihm graut vor dem unheimlichen Zauber.
„Weg, du Hexe!“ schreit er plötzlich mit jener Kraft, die der Schrecken dem Menschen verleiht.
Da schlägt die erste Stunde der Nacht, und die Zeit der Geister ist vorüber. Rasch will der Bursche entfliehen, aber wie kalter Schauer läuft es ihm über den Rücken. Seine Hände erstarren wie im Winter, und seine Füße werden immer schwerer. Nun müht er sich mit allen Kräften, so daß ihm der kalte Schweiß aus den Poren bricht, aber er kann kaum vorwärts kommen; denn sieh, schon graut im Osten der Morgen. Todesangst packt ihn; seine Knie werden steif, und sein Nacken unbeweglich. Stier glasen seine Augen vor sich hin. Er kann nur noch denken, aber nicht mehr gehen. Vor seinen Augen wird es Nacht und wird es Tag; der Sommer vergeht und der Winter, und noch immer steht er auf derselben Stelle. Seine Beine sind unterdessen hart wie Stein geworden, und sein Herz schlägt nur alle fünfzig Jahre einmal. Und wenn es viermal geschlagen hat, rinnt ein Tröpflein Blut hinauf zu dem Gehirn, damit der Arme noch abermals tausend Jahre sein Unglück überdenken könne.
Endlich ist auch der letzte Tropfen Blut zu Stein geworden. Nun setzten sich die Vögel auf die Schultern des steinernen Mannes, und herzlose Buben trieben losen Spott mit ihm. Hinter ihm ist der Weg zur Ewigkeit geworden.
Jene aber, die ihn verwegen auf die Stirne geküßt, büßte den Frevel nicht minder hart. Die Rückkehr in das Geisterreich blieb ihr verschlossen, und ewig mußte sie auf Erden bleiben. Aus dem Herzen war ihr böser Wunsch gekommen, und für immer sollte sie den Menschen ihre Schuld offenbaren.
Immer dünner ward ihr schlanker Leib, und bald krümmte er sich wie ein Reislein auf der Erde. Das ungestüme Herz aber ward immer größer und wuchs als immergrünes Blatt aus ihrem dünnen Leibe, nicht einmal, sondern hundertmal und noch öfter, als ewiges Merkmal der Schande.
Die Menschen staunten über das neue Gewächs, das immer nur grünte, aber keine Blüten trug wie andere Pflanzen. Sie ahnten ein Strafgericht des Himmels und nannten die Pflanze Epheu, was sicher nichts Gutes bedeutete. Seitdem windet sich der Epheu auf der Erde wie die Schlange im Staube. Er krieht über die Gräber der Toten, und wenn er einmal an einem grünen Baume in die Höhe strebt, so raubt er ihm das Leben wie dem Burschen einst in der Geisternacht. Gern möchte er seine Schande verbergen, und darum liebt er auch die Finsternis mehr als das Licht.
Der steinerne Mann steht im Waldesdunkel. Wenige kennen sein Unglück; aber wer den Weg entlang geht, den er einst ging, fühlt etwas von der Last seiner Ewigkeit.
Nicht gut ist es für den Menschen, in die Hände der nächtlichen Mächte zu fallen.

Dr. Paul Reinelt, Priester und Dichter
* 6. April 1877 in Neuweistritz – † 13. Juli 1959 in Andernach

 


 

Alte Landkarten

5665
Ausschnitt aus dem Messtischblatt Nr. 5665 Alt-Lomnitz von 1936
(Scan von Archiwum map zachodniej polski/MAPSTER)

5765
Ausschnitt aus dem Messtischblatt Nr. 5765 Habelschwerdt von 1936
(Scan von Archiwum map zachodniej polski/MAPSTER)

 


 

Aktuelle Standorte der Skuplturen

Standort des Grauen Mannes
Standort des Grauen Mannes auf der Openstreetmap-Karte
© OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA

Grauer Mann / Strażnik Wieczności
extern Standort: 50.3303964, 16.5333330 auf OpenStreetMap anzeigen

 

Heutiger Standort des Steinernen Wenzels
Heutiger Standort des Steinernen Wenzels auf der Openstreetmap-Karte
© OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA

Steinerner Wenzel / Kamienny Wacław
extern Standort: 50.2875329, 16.5199064 auf OpenStreetMap anzeigen

 

 

Benutzerdefinierte Suche

 

 

Zur Seite Aktuelles Zurück zur Seite „Aktuelles“

 

Zur Homepage Zurück zur Homepage

 

© 2023-2024 by Dipl.-Ing. Christian Drescher, Wendeburg
Erste Version vom 29.03.2023, letzte Aktualisierung am 18.01.2024.