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Aktuelle Nachrichten aus der Grafschaft Glatz

 

„Wir müssen uns alles sagen“
– Gedenktafel an deutsche und polnische Opfer kommunistischer Gewalt an der Zimmerstraße in Glatz/Kłodzko eingeweiht –

von Georg Wenzel

Das Geschehen in der Glatzer Zimmerstraße Nr. 8 (poln.: ul. Łużycka) begleitete mich mein ganzes Leben lang. Gehörte ich doch zu den Überlebenden der in diesem Hause von dem „Polnischen Amt für Staatssicherheit – UB“ dort Inhaftierten. Ich hatte, wenn auch gesundheitlich geschädigt, überlebt. Wer gedachte der im Garten dieses Hauses Verscharrten, unter unsäglicher Folter Verstorbenen?
Bei meinen öfteren Besuchen in der alten Heimat führte mich mein Weg immer wieder zu dieser Leidensstätte, und ich stand voller Trauer, aber auch Dankbarkeit an diesem Haus. Trauer, weil nicht der geringste Hinweis darauf verwies, dass hier gequälte Menschen ihre letzte Ruhe gefunden hatten und Dankbarkeit, dass mich ein gutes Schicksal alles überleben ließ. Bemühungen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge konnten kein Ergebnis bringen, weil keine einzelnen Grablagen bezeichnet werden konnten.
Die politischen Verhältnisse waren zunächst so, dass Bemühungen, die Geschichte des Hauses zu klären, keine Aussicht auf Erfolg hatten. Jetzt, siebzig Jahre später, schien sich die Gelegenheit zu bieten, auch dieses Stück deutsch-polnischer Geschichte abzuschließen. Mit guten Freunden wurden die erforderlichen Schritte in die Wege geleitet, und es gelang.
Anlässlich der Wallfahrt der Grafschaft Glatzer zu den Pilgerstätten der alten Heimat wurde in einer würdigen Feier ein Gedenkstein in Polnisch und in Deutsch im Garten des Nachbarhauses mit dem Segen von Großdechant Franz Jung und Pater Dr. Marian Arndt eingesegnet.

Weil ich selbst an der Einweihung der Gedenkplatte nicht teilnehmen konnte, schickte ich eine Grußadresse, die verlesen wurde:
Jan Józef Lipski sagte: „Wir müssen uns alles sagen, unter der Bedingung, daß jeder über seine eigene Schuld spricht. Wenn wir dies nicht tun, erlaubt uns die Last der Vergangenheit nicht, in eine gemeinsame Zukunft aufzubrechen.“
Mit vielen anderen war ich, 17 Jahre alt, 1946 im Kreisquartier der UB in Glatz (Kłodzko) in der Zimmerstraße - heute ul. Łużycka 8 - inhaftiert. Nach den im Deutschen Bundesarchiv liegenden Berichten sind dort allein 70 bis 80 namentlich genannte Deutsche zu Tode geschunden und, zum Teil auch von mir, im Garten des Hauses verscharrt worden. Unschuldig, wie viele andere, habe ich mit schweren gesundheitlichen Schäden überlebt.
Es war mir schon viele Jahre ein Bedürfnis, mit einer Gedenktafel an alle verstorbenen Leidensgenossen gleich welcher Nationalität zu erinnern. Diese Tafel soll aber auch Mahnung sein an alle, niemals Gewalt im Umgang mit anderen Menschen anzuwenden. Sie soll nicht die Verbrechen der einen mit denen der anderen Seite aufrechnen, sondern ein weiterer Schritt zur Versöhnung zwischen unseren Völkern auf der Basis der geschichtlichen Wahrheit sein.
Danke möchte ich allen sagen, die das ermöglicht haben, Bürgermeister, Rat und Verwaltung der Stadt Kłodzko, Frau Elisabeth Kynast, Herrn Henryk Grzybowski, Frau Tereza Bazała. Ohne ihren tatkräftigen Einsatz und den guten Willen wäre die Gedenkstätte nicht zustande gekommen.

Georg Wenzel

Pater Marian Arndt und Großdechant Franz Jung bei der Segnung des Gedenksteins.
Pater Marian Arndt und Großdechant Franz Jung bei der Segnung des Gedenksteins.

Zur Enthüllung der Gedenktafel schreibt Mirosław Jarosz, Redakteur der Bistumszeitung für die Diözese Schweidnitz „Gość Świdnicki“, unter anderem:
Es wurde eine Gedenktafel neben der ehemaligen Folterkammer des „Amtes für Sicherheit“ enthüllt - Die Glatzer „Kleine Wiese“
Wir müssen wissen, was geschehen ist, damit es in der Zukunft keiner wagt, die Opfer mit den Henkern gleichzusetzen.
Dank der Initiative der ehemaligen deutschen Gemeinschaften wurde am 18. Juni auf dem Grundstück in der ul. Grunwaldzka [Horst-Wessel-Straße, Wiesenstraße] in Glatz eine Tafel enthüllt. Eingraviert wurde auf der Tafel ein Text in Polnisch und Deutsch: Wir gedenken der polnischen und deutschen Menschen, die 1945 bis 1948 hier an diesem Ort von dem polnischen Amt für Staatssicherheit UB in Glatz/Kłodzko grausam gequält worden sind und starben. Wir gedenken ihrer. Ihre Schicksale mahnen uns zur Versöhnung. Die Hinterbliebenen, 18. Juni 2016

Inschrift auf der Gedenktafel für Opfer kommunistischer Gewalt in Glatz/Kłodzko
Polnische und deutsche Inschrift auf der Gedenktafel
für die Opfer kommunistischer Gewalt in Glatz/Kłodzko

An der Feier nahmen u.a. Söhne von zwei dort ermordeten Deutschen teil. Der erste Gedenkstein wurde an diesem Ort erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgestellt. Vorher hatten die Menschen wegen der Brutalität und der Straflosigkeit der Täter Angst, das Geschehen zu erwähnen. Laut den Unterlagen in den deutschen Archiven wurden dort etwa 70 Deutsche ermordet. Die Zahl der Polen ist nicht genau bekannt, aber man schätzt, dass sie noch höher sein könnte.
Einer der Gefangenen war Marian Bazała, der im Jahre 1946 ins Glatzer Bergland kam. - „Es ist schwer, in Worte zu fassen, was die dort gefangenen Menschen erlebt haben“, sagt seine Tochter Teresa Bazała. Der Vater verbrachte mehrere Monate in einer Zelle mit den Vernommenen und Gefolterten. Aus dem, was er sagte, kann man entnehmen, dass dort die gleichen grausamen Methoden verwendet wurden, die wir aus Beschreibungen von anderen kommunistischen Gefängnissen kennen. Er erzählte auch, dass rund um das Gebäude Löcher gegraben wurden. Dort wurden die Leichen der Ermordeten hineingeworfen. Die Angehörigen dieser Menschen sollten nie erfahren, was mit ihren Verwandten geschehen ist. „Mein Vater konnte wie durch ein Wunder das Gefängnis verlassen - wie er sagte - mit Hilfe einer Ärztin, die dort arbeitete. Heute bedaure ich, dass ich seine Erinnerungen, als er noch bei vollem Bewusstsein war, im Detail nicht niedergeschrieben habe. Jetzt ist er fast 89 Jahre. Er kann sich an die meisten Dinge nicht mehr erinnern“, gibt Frau Teresa Bazała zu.
Die Worte auf der Tafel über Versöhnung und Vergebung sind sehr wichtig. Aus den Erinnerungen der deutschen Bevölkerung entsteht nämlich ein Bild der bestialischen Polen, von denen sie in diesem Gefängnis gefoltert wurden. Sie vergessen nur, dass die UB-Funktionäre [des Amtes für Staatsicherheit] Kollaborateure der kommunistischen Regierung waren und mit der gleichen Grausamkeit auch Polen, Gegner des neuen Regimes, ermordeten.
Zur Zeit wird darüber diskutiert, ob die Exhumierung der Opfer der Glatzer Folterkammer durchgeführt werden soll. Die Befürworter sind überzeugt von der Notwendigkeit, die Wahrheit zu erfahren, und von einer würdigen Bestattung der Opfer. Die Gegner sprechen von einem unnötigen Aufreißen der geheilten Wunden. Seit vielen Jahren ist an diesem Ort ein Kindergarten eingerichtet. Im Gebäude selbst gibt es auch keine Spuren mehr. Sie wurden bei der Sanierung entfernt, die nach dem großen Hochwasser 1997 stattgefunden hat. Außerdem sind viele materielle Beweise für immer vernichtet worden. Es bleibt nur die Erinnerung.

(übersetzt von Irena Rogowska)

v.l. Henryk Grzybowski, Tereza Bazala, Frau Koza (Mitarbeiterin Kulturamt), Elisabeth Kynast, Pater Dr. Marian Arndt, Großdechant Franz Jung
v.l. Henryk Grzybowski, Tereza Bazala, Frau Koza (Mitarbeiterin Kulturamt), Elisabeth Kynast, Pater Dr. Marian Arndt, Großdechant Franz Jung

Die Toten im Garten des Hauses sollte man ruhen lassen. Ermordete und Täter haben längst einen höheren Richter gefunden.
Vergessen dürfen wir nicht, dass sich für viele Deutsche, aber auch Polen das Martyrium im Gefängnis in der Gartenstraße fortsetzte. Die dort durch brutale Schließer Ermordeten fanden ihre letzte Ruhe unter Müll und Schutt auf dem Friedhof an der Oberschwedeldorfer Straße.
Ruhet in Frieden!

Georg Wenzel

Dieser Bericht wurde auch auszugsweise in „Schlesien heute“ Nr. 10/2016 (S. 32) veröffentlicht.

 

 

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Erste Version vom 01.10.2016, letzte Aktualisierung am 13.10.2016.